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Politik: Die Wahrheit und der Wahlkampf

Von Bernd Ulrich Spitzenkandidaten, die Siegergesten machen, Parteivölker, die endlos applaudieren, hier und da schon ein Plakat und die Argumente werden gröber - wenn nicht alles täuscht, befinden sich die Parteien im Wahlkampf. Und wenn nicht alles täuscht, sind sie da die einzigen.

Von Bernd Ulrich

Spitzenkandidaten, die Siegergesten machen, Parteivölker, die endlos applaudieren, hier und da schon ein Plakat und die Argumente werden gröber - wenn nicht alles täuscht, befinden sich die Parteien im Wahlkampf. Und wenn nicht alles täuscht, sind sie da die einzigen. Die Bürger jedenfalls befinden sich in der WM, am Ende des Schuljahres, in Urlaubsvorbereitungen oder wo auch immer, nur nicht im Wahlkampf. Sind die Menschen also unpolitisch? Nein, die Politik ist unpolitisch.

Noch hat keine Partei den Bürgern erklären können, worum es bei dem Wahlkampf eigentlich geht. Höchstens, worum es ihnen, den Parteien geht: ums Kanzleramt. Doch ist die Frage, wer gerade regiert, für die meisten Menschen von eher sportlichem Interesse. Der Wahlausgang ist etwas, auf das man tippen kann, wenn die WM vorbei ist.

Da der Wahlkampf noch von nichts handelt außer von Angst und Hoffnung der Parteien, drängt sich die Frage auf, wovon er handeln könnte. Das ist leicht zu beantworten, und Politiker aller Parteien sagen es einem auch, hinter vorgehaltener Hand. Der Wahlkampf müsste ein Wettbewerb darum sein, wer die unausweichlichen Reformen bei Gesundheit, Rente, Arbeitsmarkt und Steuern am klügsten realisieren kann. Wenn man die Politiker fragt, warum sie das nicht zum Gegenstand des Wahlkampfes machen, so antworten sie, dass mit ernsthaften Reformen schmerzliche Einschnitte verbunden seien, und dass derjenige die Wahlen verliert, der das ausspricht. Also sprechen sie möglichst wenig aus. Vielleicht stimmt die Vermutung der Mutlosen sogar. Allerdings stimmt auch die andere Erfahrung: Wer vor den Wahlen nicht von den Zumutungen spricht, kann nach den Wahlen nicht damit beginnen.

Insofern ist es für das Land schon ein wichtiger Wahlkampf. Denn je mehr Wahrheiten doch noch ausgesprochen werden, desto größer sind die Chancen, dass nach der Wahl endlich mehr geschieht als nach 1998. Jedes ehrliche Wort ist Gold wert. Besonders, wenn es von Seiten der Partei fällt, die zurzeit die größten Siegchancen hat, der Union. Die hat nun ihren Wahlparteitag und zwei Probleme: Es ist nicht so einfach, eine große Show zu bieten, ohne auch etwas zu zeigen. Und: Die Union wird mit ihrer Taktik, sich bedeckt zu halten und auf Fehler der Regierung zu warten, in den nächsten Wochen an ihre Grenzen stoßen. Denn die SPD dürfte, schon weil sie so weit unten ist, in den Umfragen steigen. Das wirft dann Fragen an die Union auf, das lockt sie aus der Deckung.

Stoiber kann auf diesen Zwang, sich zu zeigen, auf zweierlei Weise reagieren: Er kann nach rechts gehen – oder nach vorn. Nach rechts, das würde bedeuten, die Zuwanderung ins Zentrum des Wahlkampfes zu stellen, mit der FDP um den populistischsten Populismus zu wetteifern, den starken Mann machen, ein bisschen nationalistisch reden und so. Vielen gefällt sowas. Allerdings würde diese Strategie nicht nur die eigenen Anhänger mobilisieren, sondern auch die von SPD und Grünen. Und es könnte der politischen Mitte rasch auf die Nerven gehen.

Die andere Möglichkeit, Kontur zu zeigen, bestünde darin, die von allen Parteien insgeheim geteilte, versteckte Agenda zumindest in Teilen zu enthüllen. Auch das ist riskant, weil man nicht genau sagen kann, ob die Deutschen mittlerweile reif sind für weniger Staat, für mehr Geld, das in die Bildung investiert und anderswo eingespart wird, für Entriegelung des Arbeitsmarktes usw.

Die Union ist hier noch unentschlossen. Doch fängt sie vor dem Parteitag immerhin an, darüber zu diskutieren, wie viel Mut zur Zumutung sie zeigen soll. Übermorgen, wenn Stoiber zu den Seinen spricht, kann er Führung zeigen und das Maß an Reform-Ehrlichkeit für die Union und für den Wahlkampf setzen.

Einer wird die Wahl gewinnen. Es wäre schön, wenn der Sieger Deutschland hieße.

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