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Politik: Diktatur der Mehrheit

BERLUSCONIS GESETZ

Von Wolfgang Prosinger

Den Italienern muss es ziemlich wunderlich erscheinen, was in diesen Tagen nördlich der Alpen vor sich geht: Politiker treten da zurück, weil sie ein bisschen mit Flug-Tickets geschummelt haben. Rätselhaftes Deutschland. Muss man so kleinlich sein?

Man muss es offenbar nicht. In Rom sitzt seit über einem Jahr ein Ministerpräsident an den Hebeln der Macht, obwohl er zugleich auf der Anklagebank sitzt. Korruption und Bilanzfälschung lauten die Vorwürfe. Und wenn die Vorzeichen nicht täuschen, dann muss er im Herbst mit einem Schuldspruch des Mailänder Gerichts rechnen.

Genauer: Er musste es bis Donnerstagabend. Denn was anderswo in Europa längst Grund für einen Rücktritt wäre, das war für Silvio Berlusconi Grund für eine Gesetzesänderung. Seine stattliche Mehrheit segnete im römischen Senat ein Gesetz ab, das es erlaubt, laufende Verfahren auf Antrag des Angeklagten zu verlegen und dann neu aufzurollen. Er muss nur seinen Verdacht erklären, der zuständige Richter könnte voreingenommen sein. So eine Verlegung kostet beim bekannten Schneckentempo der italienischen Justiz nicht wenig Zeit.

Damit wäre Zeit genug, die Vorwürfe gegen Berlusconi der Gnade der Verjährung anheim fallen zu lassen. Jetzt muss nach den Sommerferien nur noch das Abgeordnetenhaus zustimmen, woran nicht zu zweifeln ist, und schon hat Italiens Premier den Kopf aus der Schlinge gezogen. Das auch noch ganz legitim, mit einer demokratisch gewählten Mehrheit im Parlament.

Ganz legitim? Was Silvio Berlusconi getan hat, ist in Wirklichkeit eine Verhöhnung des Rechtsstaats. Denn es ist ganz und gar offensichtlich, dass das neue Gesetz keineswegs jene bürgerfreundliche Justizreform ist, als die es die Regierung rühmt. Es ist vielmehr ein Maßanzug, der vor allem einem passt, und zwar wie angegossen: Silvio Berlusconi. Wie leicht wäre es doch gewesen, den Vorwurf der privaten Vorteilsnahme abzuwehren: Er hätte nur mit der Verabschiedung bis zum Urteilsspruch in seinem Prozess warten müssen.

Hat er aber nicht. So reiht sich dieses Gesetz ein in die lange Kette all jener Versuche Berlusconis, sich und den Seinen Vorteile zu verschaffen. Es begann schon 1994, als er zum ersten Mal an die Regierung kam und gleich die Gründe, Verdächtige in U-Haft zu nehmen, erschweren wollte. Das setzte sich bei seiner zweiten Regierung fort mit den Änderungen der Gesetze zur Bilanzfälschung und zur Erbschaftsteuer, mit der Torpedierung des Rechtshilfeabkommens zwischen der Schweiz und Italien, mit der Versetzung von unliebsamen Richtern, mit dem (schließlich gescheiterten) Versuch zur Verhinderung des europäischen Haftbefehls. Das alles weist in eine eindeutige Richtung. Damit ist das neueste Gesetz nur der Höhepunkt einer Politik, die private und öffentliche Interessen seit jeher vermischte.

Und so etwas wird eben nicht legitimiert durch die bloße Existenz einer parlamentarischen Mehrheit. Was jetzt geschehen ist, das ist vielmehr die Diktatur einer Mehrheit, die keine Rücksicht auf die Folgen ihrer Entscheidung nimmt. Durch Italien geht ein Riss, der an die Zeiten des Kalten Kriegs gemahnt, ein Klima der Rechtsunsicherheit ist entstanden, das Verhältnis von Regierung und Justiz unerträglich belastet. Silvio Berlusconi hat verbranntes Land hinterlassen.

Das alles kann eigentlich selbst ihm nicht egal sein. Dieses Italien, das nun eine so gewaltige Erschütterung erlebt, gehört zu den Gründungsmitgliedern eines geeinten, eines rechtsstaatlichen Europas. Es kann doch nicht plötzlich anfangen, davor davonzulaufen.

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