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Generation Greta: Ende der jugendlichen Unbeschwertheit

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Diskussion um Wahlrecht ab 16: Die Generation Greta muss zu schnell erwachsen werden

Der politische Stillstand zwingt sie dazu. Dabei hat sie ein Recht auf jugendliche Unbeschwertheit. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Max Tholl

Sollte man sich Sorgen machen um diese Jugend? Nicht etwa, weil sie dem pubertären Leichtsinn frönt oder herumlottert statt Pflichtbewusstsein zu entwickeln – sondern weil sie gerade das nicht mehr tut? Es wächst da dem Anschein nach eine ziemliche Strebergeneration heran, die auf gesellschaftliche Verantwortung statt individuelle Freiheit setzt.

Das könnte man jedenfalls überspitzt schlussfolgern, wenn man sich die Ergebnisse der jüngsten Sinus-Jugendstudie anschaut, die die Ansichten und Lebenswelten der 14 bis 17-Jährigen untersucht.
Die Ergebnisse zeigen, dass viele Jugendliche ernster und problembewusster geworden sind und Spaß in ihrem Leben zunehmend zweitrangig wird. Sie orientieren sich demnach stärker an der „bürgerlichen Normalbiographie“ lehnen den jugendtypischen Hedonismus ab. Das größte Jugendmilieu ist der Studie nach der „leistungs- und familienorientierte Mainstream mit hoher Anpassungsbereitschaft“.

Wo bleibt denn da der pubertäre Nonkonformismus?, könnte man vorwurfsvoll rufen wollen. Doch diese neue jugendliche Ernsthaftigkeit ist kein natürlicher Sinneswandel, vielmehr ist er die Konsequenz des politischen Versagens. Denn auch das legt die Jugendstudie nahe: Teenager fühlen sich mit ihren Sorgen von der Politik weder gehört noch ausreichend repräsentiert.

Hilfeschrei der Jugend

Die voranschreitende Politisierung der Jugend ist nicht nur eine aktive Forderung nach mehr Teilhabe, sondern vielmehr ein Hilfeschrei aufgrund der politischen Stagnation. Das jugendliche Aufbäumen ist deshalb so pflichtbewusst und konform, weil die Politik der Erwachsenen in infantilem Trotz (siehe Trump) und unmündigem Scheuklappendenken (siehe Rest) fest steckt.
In der Konsequenz, wäre es nur richtig und logisch, das Wahlalter auf 16 zu senken, wie es vergangene Woche erneut diskutiert wurde. Schließlich leben wir in einer Zeit, in der „die Mündigkeit der jungen Generation schon viel früher einsetzt“, wie Grünen-Chef Habeck konstatierte.

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Doch das sollte nicht zu dem Reflex führen, die „Generation Greta“ als Heilsbringer zu charakterisieren, der für die Lösung der Weltprobleme unabdingbar ist. Bei aller Lobhudelei, die sicherlich angebracht ist, könnte man glatt vergessen, dass es neben dem Recht auf politische Mitbestimmung auch ein jugendliches Recht auf Unbeschwertheit geben sollte.

"Warum erwachsen werden?"

Das Versagen der Erwachsenen sollte die Heranwachsenden nicht in die Pflicht nehmen. Auch das wäre generationsübergreifende Gerechtigkeit. Statt die im Auge zu haben, schmücken sich Parteien und Wirtschaft mit dem jugendlichen Tatendrang und Idealismus, um Verantwortungsbewusstsein und Engagement zu demonstrieren. Natürlich ist es absolut richtig, den Jungen auf Augenhöhe zu begegnen und ihnen ausreichend Platz am Verhandlungstisch zu sichern. Doch aus der Politisierung der Jugend darf keine Notwendigkeit werden.

Die Philosophin Susan Neiman schreibt in ihrem Buch „Warum erwachsen werden?“, dass es nicht gelungen sei, Gesellschaften zu schaffen, in die Jugendliche gerne hineinwachsen möchten, und dass es an positiven Bildern des Erwachsenseins mangelt. Erwachsenwerden ist für Neiman ein nahezu revolutionärer und lebenslanger Prozess der Selbstermächtigung und Verantwortungsübernahme. Es wäre schade, wenn dieser sich notgedrungen schon mit 16 dem Ende zuneigt.

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