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Politik: Dokumentation: Auszüge aus der Rede Paul Spiegels

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, hat bei der Einweihung des Holocaust- Mahnmals am Dienstag in Berlin Vorbehalte gegen das Denkmal geäußert, gleichzeitig aber seine Anerkennung und Wertschätzung für das gesamte Projekt ausgesprochen. Die Nachrichtenagentur dpa dokumentiert aus der Rede:

«In bester Absicht und künstlerisch beeindruckend wurde... die Vorstellung von den Juden als dem Volk der Opfer in 2711 Betonstelen gegossen. Das Gedenken an die Ermordeten erspart den Betrachterinnen und Betrachtern die Konfrontation mit Fragen nach Schuld und Verantwortung. Vor diesem Hintergrund ist der "Ort der Information" eine unerlässliche Ergänzung des Denkmals. Erfahrungsgemäß wird sich jedoch nur ein Teil der Besucherinnen und Besucher die Mühe machen, die auf dem Stelenfeld gesammelten Eindrücke durch zusätzliche Fakten zu vertiefen... Auch aus diesem Grund wäre es wünschenswert gewesen, die Motive der Täter im Denkmal selbst zu thematisieren und damit eine unmittelbare Auseinandersetzung mit Tat und Täter zu ermöglichen.»

«Meine Einwände beziehen sich auf die meines Erachtens unvollständig gebliebene Aussage des Denkmals. Ungeachtet dessen liegt mir daran, angesichts der mit diesem Bauwerk zum Ausdruck gebrachten Solidarität mit der jüdischen Gemeinschaft, meine Anerkennung und Wertschätzung für das gesamte Projekt zu betonen. Die Hartnäckigkeit und Leidenschaft, mit der die Initiatoren des Denkmals seit rund fünfzehn Jahren für die Verwirklichung ihres Anliegens kämpfen, haben mich sehr beeindruckt. Hervorheben möchte ich in diesem Zusammenhang den Beschluss des Deutschen Bundestages zum Bau des Denkmals. Das damit verbundene Bekenntnis aller Fraktionen, auch langfristig für das Gedenken an die von Deutschen während des Zweiten Weltkrieges verübten Verbrechen eintreten zu wollen, war ein wichtiges und notwendiges Signal im Kampf gegen das Vergessen.»

«Im Angesicht von Folter und Tod gibt es...keine Abstufung individuell erlittenen Leids... Ich unterstütze deshalb nachdrücklich die Forderung anderer Opfergruppen nach einem würdigen öffentlichen Ort des Gedenkens.»

«Dass sich die Debatte um das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in diese Richtung entwickelt hat, ist bedauerlich. Dies umso mehr, als schon die Entstehungsgeschichte darauf verweist, dass es sich hier um das offizielle Denkmal der Bundesrepublik Deutschland zum Gedenken an die Ermordung der europäischen Juden handelt und nicht - wie vielfach missverständlich dargestellt - um den zentralen Gedenkort der Juden in Deutschland.»

«Abgesehen von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Israel bestehen unsere Orte der Trauer und des Gedenkens seit über 70 Jahren: Die ehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslager, die Massengräber, Erschießungsstätten und Orte der Folter, die Rampen, an denen die Menschen in Viehwaggons abtransportiert wurden, bis hin zu den vielen Plätzen in Deutschland, wo Synagogen und Gemeindehäuser in Flammen aufgingen. Hier wurde unseren Familienmitgliedern, Verwandten, Freunden und ungezählten namenlosen Opfern unermessliches Leid zugefügt. Hier wurden wir von unseren Nachbarn und Landsleuten gedemütigt, verraten und Millionen von uns auf grausamste Art ermordet. Nirgendwo sind wir den Verstorbenen näher und nirgendwo lässt sich ein unmittelbarer, umfassender Zugang zu den Gräueltaten der Nationalsozialisten finden wie an den authentischen Orten.»

«Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas ist kein authentischer Ort. Und doch hoffe ich, dass dieses Denkmal Herz und Gewissen jeder Besucherin und jedes Besuchers erreicht. Möge es dazu beitragen, jene Erinnerung wach zu halten, die mit dem Verstummen der Zeitzeugen zu verblassen drohen.» (tso)

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