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Behinderte am Arbeitsmarkt: Doppeltes Handicap

Menschen mit Behinderung haben es am Arbeitsmarkt noch immer schwer. Woran liegt das?

Wer behindert ist, hat es auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht leicht. Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern sind zwar gesetzlich verpflichtet, fünf Prozent ihrer Stellen mit Schwerbehinderten zu besetzen. Doch immer noch zahlen viele Arbeitgeber lieber eine Ausgleichsabgabe, als Menschen mit Behinderungen einzustellen.

Wie viele Unternehmen beschäftigen überhaupt Schwerbehinderte?

Von den knapp 143000 Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern beschäftigen mehr als 37000 überhaupt keinen schwerbehinderten Menschen, wie eine Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) zeigt. Ihr Soll erfüllt die deutsche Wirtschaft nicht ganz: Zuletzt waren im Durchschnitt 4,6 Prozent der Stellen mit Schwerbehinderten besetzt. Doch immerhin gab es in den vergangenen Jahren Fortschritte, 2002 lag die Quote noch bei 3,8 Prozent. Besetzt ein Unternehmen die Pflichtarbeitsplätze nicht, muss es zahlen: Monatlich sind bis zu maximal 290 Euro pro Stelle fällig. Unternehmen können die Ausgleichsabgabe allerdings auch unterlaufen, indem sie Aufträge an Behindertenwerkstätten vergeben – das wird dann ebenfalls angerechnet.

Welche Chancen haben Schwerbehinderte auf dem Arbeitsmarkt?

Verliert ein Schwerbehinderter seinen Job, fasst er schwerer wieder auf dem Arbeitsmarkt Fuß als sein nicht behinderter Kollege. Das führt dazu, dass die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit in dieser Personengruppe deutlich höher ist: Während laut BA die durchschnittliche Dauer bei schwerbehinderten Arbeitslosen im Jahr 2012 (aktuellere Zahlen liegen nicht vor) bei 77 Wochen lag, war es bei den anderen Arbeitslosen 64 Wochen. Die Integration in den Arbeitsmarkt ist schwerer, obwohl der Fachkräfteanteil bei schwerbehinderten Arbeitslosen höher ist als bei Arbeitslosen insgesamt. So hatten im Jahr 2012 knapp 60 Prozent der schwerbehinderten Arbeitslosen einen Studien- oder Berufsabschluss, bei den Arbeitslosen ohne Handicap waren es 55 Prozent. Selbst bei den Langzeitarbeitslosen, die Hartz IV beziehen, sind die Qualifikationen bei den Schwerbehinderten höher.

Wie viele Schwerbehinderte gibt es in Deutschland?

In Deutschland gibt es rund drei Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter (15 bis 65 Jahre), die eine Behinderung haben. Häufig ist diese nicht angeboren, sondern Folge einer Erkrankung: Dazu zählen Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schädigungen der inneren Organe, etwa nach einer Krebserkrankung. Behinderungen treten vor allem bei älteren Menschen auf. Von den schwerbehinderten Menschen im erwerbsfähigen Alter war knapp die Hälfte zwischen 55 und 65 Jahre alt. Im Dezember 2013 waren insgesamt 177926 Schwerbehinderte ohne einen Job. Das waren 4623 mehr als im Vorjahr.

Wie stark unterscheiden sich Unternehmen bei der Einstellung Behinderter?

Während die Privatwirtschaft mit einer Quote von vier Prozent unter der vorgegebenen Marke bleibt, erfüllen die öffentlichen Arbeitgeber mit 6,5 Prozent ihre Pflicht. In Branchen wie dem Gastgewerbe (2,8 Prozent), dem Baugewerbe oder der Landwirtschaft (beide 3,0 Prozent) ist der Anteil Schwerbehinderter eher gering. Schwer haben es Schwerbehinderte auch in der Werbung und Marktforschung (1,8 Prozent), der Filmproduktion und der Zeitarbeit (jeweils 1,6 Prozent).

Positive Beispiele für die Beschäftigung von Schwerbehinderten sind hingegen die öffentliche Verwaltung und Sozialversicherung, die eine Quote von 6,8 Prozent erreichen. In der Energieversorgung sind es 5,7 Prozent und im Fahrzeugbau 5,5 Prozent.

Warum fällt es manchen Unternehmen so schwer, Behinderte einzustellen?

BA-Vorstandmitglied Alt führt dies auch auf Vorurteile und Ängste zurück. „Was von der Norm abweicht, erscheint vielen fremd“, sagt er. Dabei würden viele Menschen mit Behinderung täglich beweisen, dass sie arbeiten wollen und können. Schwerbehinderte einzustellen, sei „keine Wohltat“ gegenüber diesen und auch nicht nur eine „gesetzliche Verpflichtung“, sondern vor allem „eine Frage der wirtschaftlichen Vernunft“, ermahnt Alt die Arbeitgeber. Es sei nicht klug, diese Personengruppe „nicht in Betracht zu ziehen“. In der Praxis zeigt sich ein grundsätzlicher Zusammenhang: Je größer ein Unternehmen ist, desto einfacher ist es für die Personalverantwortlichen, Stellen für Schwerbehinderte zu schaffen. Das spiegelt sich auch in den Statistiken wider: So haben Großunternehmen mit mehr als 2000 Mitarbeitern im Durchschnitt mehr als fünf Prozent ihrer Stellen mit Schwerbehinderten besetzt. Unternehmen mit bis zu 40 Mitarbeitern kamen zuletzt nur auf eine Quote von 2,8 Prozent. Für sie gibt es allerdings auch Ausnahmen von der Fünf-Prozent-Regelung.

Gibt es vorbildliche Unternehmen?

Mit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention hat Deutschland sich 2009 verpflichtet, den Arbeitsmarkt komplett barrierefrei zu gestalten. In einem Teil der Unternehmen schlägt sich das nieder: Dort gibt es Blindenleitsysteme, Rolli-Shuttle, Servierservice in der Kantine oder Schulungsveranstaltungen mit Hörunterstützung.

Ein positives Beispiel ist nach Angaben von BA-Vorstand Alt etwa die Firma Stegmann, die als einziges Zeitarbeitsunternehmen die gesetzlich geforderten fünf Prozent nahezu erreicht – und das, obwohl die gesamte Branche sonst so schlecht abschneidet. Das gelingt auch dadurch, dass bei allen Tätigkeiten immer wieder überprüft wird, ob sie nicht auch von Schwerbehinderten ausgeführt werden können: angefangen vom Empfang über die elektronische Archivierung von Akten bis zum Erstellen von Zeugnissen für Zeitarbeitskräfte.

Wie werden Betriebe bei der Erfüllung der Quote unterstützt?

Die Ausgleichsabgabe bietet Unternehmen zwar einen gewissen Anreiz, Schwerbehinderte einzustellen. Doch viel wichtiger ist es für die Betriebe, dass sie dauerhaft unterstützt werden, wenn ein Mitarbeiter nicht so produktiv ist oder Assistenz benötigt, etwa weil er gehörlos ist oder auch bei psychischen Problemen. Wichtig sei, dass die Hilfe aus einer Hand komme, sagt der Grünen-Sozialexperte Markus Kurth: „Viele Arbeitgeber finden es umständlich, sich um den Papierkram und das Organisatorische zu kümmern. Sie brauchen außerdem auch nach der Einstellung einen festen Ansprechpartner bei den Integrationsfachdiensten, der ihnen hilft.“

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