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Politik: „Dresden ist auch für die Briten ein Symbol“

Londons Botschafter Sir Peter Torry über die Bombennacht 1945 und die Ähnlichkeit zweier Ex-Feinde

Was empfindet ein Brite, wenn er zum 60. Jahrestag an die Bombardierung von Dresden denkt?

Dresden ist auch in Großbritannien zum Symbol geworden für die Schrecken des Krieges und gleichzeitig für die Versöhnung zwischen unseren beiden Ländern. Für mich ist dieses Wochenende nicht nur deshalb wichtig, weil wir der Opfer gedenken. Wir müssen auch würdigen, was zwischen unseren beiden Ländern in diesen 60 Jahren erreicht worden ist. Es ist kein Zufall, dass die Queen im vergangenen November Deutschland besucht hat. Wir wollten damit zeigen, dass Deutschland mit Frankreich und den USA unser wichtigster Partner auf der Welt geworden ist.

Können Sie sich erinnern, wann in Ihrer Familie über das Geschehen in Dresden geredet worden ist?

Ich bin nach dem Krieg geboren und habe deshalb glücklicherweise keine direkten Erfahrungen. Aber meine Mutter, die heute 83 Jahre alt ist, hat vor dem Krieg sechs Monate in Dresden studiert. Sie hat mir als Kind viel davon erzählt. Vor einem Jahr sind wir zusammen nach Dresden gefahren, was uns beide sehr bewegt hat. Meine Mutter hat die Stadt kaum wiedererkannt. Ich war auch in Dresden, als das Turmkreuz auf die wiederaufgebaute Frauenkirche gesetzt wurde. Es hat mich sehr gefreut, wie positiv die Zuhörer reagiert haben, als die Redner damals von der Freundschaft zu Großbritannien sprachen.

In Großbritannien hat eine Debatte über die Zerstörung deutscher Städte früher begonnen als in Deutschland selbst. Mittlerweile aber gibt es hier fast einen Boom bei der Beschreibung der Rolle der Deutschen als Opfer des Krieges. Beunruhigt Sie das?

Nein, ich finde das überhaupt nicht beunruhigend. Es gehört zum Umgang mit der Geschichte, sich auch mit diesem Kapitel zu beschäftigen. Wir leben in einem Europa, das daran arbeitet, dass sich die Vergangenheit nicht wiederholt. Man muss auch die Geschichte der Vertreibung kennen. Es gibt in Großbritannien nur wenige, die wissen, dass zwölf Millionen Deutsche aus dem Osten vertrieben wurden. Ich sehe kein Problem darin, dass Deutsche über die Zerstörung Deutschlands im Krieg reden. Man sollte sich daran erinnern, wie schrecklich Krieg ist. Doch für höchst problematisch halte ich Vergleiche wie die Bombardierung Dresdens mit dem Holocaust. Der Holocaust war ein einzigartiges Verbrechen. Man kann nicht die Ermordung von sechs Millionen Unschuldigen mit der Bombardierung eines Verkehrsknotenpunktes im Zweiten Weltkrieg vergleichen.

Haben Sie keine Sorge, dass die Betonung der Opferrolle die deutsche Verantwortung für den Krieg überdecken könnte?

Ich glaube, dass die Verantwortung für den Krieg so klar ist, dass diese Gefahr nicht droht. Wer wollte den Krieg? Wer hat ihn begonnen? Wer hat Polen überfallen? Der Verursacher des Zweiten Weltkrieges ist doch ganz klar. Darüber gibt es keine ernsthafte Diskussion.

Das sehen rechtsradikale Parteien wie die NPD aber anders. Sie wollen den 60. Jahrestag der Bombardierung Dresdens nutzen, um die deutsche Schuld zu relativieren.

Ich habe vollkommenes Vertrauen, dass der Common Sense (gesunde Menschenverstand, d. Red.) der deutschen Bevölkerung erkennt, wes Geistes Kind diese Leute sind. Ich würde das Phänomen ernst nehmen, aber nicht überbewerten. Die Neonazis sind zwar in Sachsen in den Landtag gekommen, aber das bei einer niedrigen Wahlbeteiligung. Und selbst dabei haben mehr als 90 Prozent nicht für Neonazis gestimmt.

Also hat die deutsche Öffentlichkeit überreagiert?

Es steht mir nicht zu, darüber zu urteilen, ob die Deutschen zu viel oder zu wenig über dieses Thema diskutieren. Es ist aber interessant, woher diese Haltung besonders in den neuen Bundesländern kommt. Dort bekommen ja nicht nur rechte Parteien Stimmen, sondern auch ehemalige Kommunisten. Man muss die Ursachen dafür suchen und die Unzufriedenheit dann bekämpfen. Aber vergessen Sie nicht, dass es ähnliche Gruppen auch in Frankreich, Großbritannien, Russland und überall in Europa gibt.

Außenminister Joschka Fischer hat bei einem Besuch in London beklagt, das Deutschland-Bild vieler Briten sei immer noch vom preußischen Stechschritt geprägt. Hat er Recht?

Diesen Eindruck habe ich nicht. Wenn es überhaupt ein Problem gibt, dann liegt es eher darin, dass junge Leute überhaupt keine oder nur eine sehr unscharfe Vorstellung von Deutschland haben. Sie finden etwa deutsche Autos toll – haben aber keine Vorstellung davon, dass Deutschland zu den wohlhabendsten Ländern der Welt gehört. Wir sollten das Problem nicht übertreiben. Die Jungen kommen dank der Billigflieger in Scharen. Allein in Berlin ist die Zahl der britischen Touristen in den vergangenen Monaten um 37 Prozent gestiegen. Sie stellen mittlerweile die größte Touristengruppe in Berlin.

Stört die britische Presse mehr, dass die deutschen Touristen auf Mallorca schon am frühen Morgen ihren Platz am Pool mit ihren Handtüchern markieren?

Nein, das sind doch alte Klischees. Die kann man nicht ernst nehmen. Uns stört viel mehr, wenn Deutschland ständig im Fußball gegen uns gewinnt.

Aber gibt es nicht doch eine Verengung im Deutschlandbild der Briten auf die Zeit des Nationalsozialismus? In britischen Schulplänen werden andere geschichtliche Epochen in Deutschland vernachlässigt.

Das Problem sind nicht die Lehrpläne. Die bieten die ganze Breite der Geschichte an. Aber die Lehrer selbst können auswählen, auf welche Epochen sie sich konzentrieren wollen. Dazu kommt, dass Geschichte nur bis zum Alter von 14 Jahren Pflichtfach ist, danach konkurriert sie mit anderen Fächern. In diesem Wettbewerb neigen Lehrer offensichtlich dazu, sich auf zwei Epochen zu konzentrieren. Heinrich VIII. Und Hitler. Heinrich VIII. fasziniert, weil er seinen Frauen den Kopf abschlagen ließ. Nach Hitler fragen die Jugendlichen. Ich würde mir wünschen, dass mehr Leute in Großbritannien lernen würden, was in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg und nach der Wende passiert ist. Es ist ein Wunder, was in Deutschland in den letzten 60 Jahren vollbracht wurde und wie die Wende gemeistert wurde.

Haben wir die deutsch-britische Freundschaft vielleicht als zu selbstverständlich angesehen und deshalb vernachlässigt? Anders als mit Frankreich und Polen wird doch nicht an einem gemeinsamen Geschichtsbuch gearbeitet.

Das bestreite ich. Als ich in der Schule war, gab es einen regen Schüleraustausch. Ich selbst war mehrmals als Schüler in Deutschland. Allerdings gibt es eine andere Entwicklung: Deutsch ist anders als früher nicht mehr zweite Fremdsprache. Deshalb kommen weniger Jugendliche. Zudem gab es früher die britische Rheinarmee mit 65 000 Soldaten, die hier teilweise heirateten oder ihre Familien mitbrachten. Das hat dazu geführt, dass das gegenseitige Verständnis viel besser war. In einem Punkt haben Sie möglicherweise Recht. Wir sind sehr enge Partner, wir sind uns so ähnlich. Das mindert vielleicht etwas die Neugier. Ich selbst habe drei Töchter, die eher nach Chile, Argentinien oder Australien fahren, was mich als Vater dann teuer zu stehen kommt. Sie meiden Deutschland – aber nicht, weil sie etwas gegen das Land hätten, sondern weil es ihrer Heimat zu ähnlich ist. Dies ist ein Grund dafür, dass wir uns während des Staatsbesuches der Königin mit der Bundesregierung zusammengesetzt haben, um nach Ideen zu suchen, den Schüleraustausch wieder zu erhöhen.

Sollte man nicht die nationalsozialistischen Symbole in ganz Europa verbieten? Ist diese Frage in Großbritannien nach dem Auftreten von Prinz Harry in einer Nazi-Uniform auf einem Fest besonders heikel?

Man sollte den Fall nicht übertreiben. Es war ein Fehler, und er hat sich entschuldigt. Was ein Verbot der Nazi-Symbole angeht, darüber wird in Brüssel ja kommenden Monat diskutiert. Statt eines EU-weiten Verbotes befürworten wir, dass diese Entscheidung jedem Mitgliedstaat überlassen werden sollte. In Großbritannien ist die Verwendung von derartigen Symbolen nicht illegal. Es ist nicht geplant, dies zu ändern. Ohnehin muss man mit Verboten vorsichtig sein. Ich habe in meiner Zeit in Spanien gesehen, wie die Regierung versucht hatte, die baskischen Nationalisten mit Verboten zu bekämpfen. Am nächsten Tag wurde einfach eine andere Partei mit neuem Namen gegründet, und das Spiel begann von vorne. Wichtiger ist es, die Gründe zu untersuchen.

Beunruhigt Sie, dass Dresden von der deutschen Rechten instrumentalisiert wird?

Dresden ist in Deutschland und Großbritannien ein kontroverses Thema. Aber wir sollten nicht vergessen, dass es im Nachhinein sehr einfach ist, zu behaupten, der Krieg sei damals fast zu Ende gewesen. Doch im Februar 1945 regnete es deutsche Bomben auf London. Die Alliierten waren bei ihrem Vormarsch östlich des Rheins stecken geblieben. Es war überhaupt nicht offenkundig, dass der Krieg zu Ende war. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass die Alliierten damals im sechsten Jahr eines furchtbaren Krieges gegen eine Tyrannei standen, in dem die Existenz Großbritanniens auf dem Spiel stand. Ich glaube, die Nachkriegsgenerationen sollten deshalb sehr vorsichtig sein mit Urteilen über das, was damals passierte.

Heißt das, es sollte nicht aufgearbeitet werden, ob der Tod der Zivilbevölkerung damals billigend in Kauf genommen wurde?

Nein, das ist unumstritten. Aber wir sollten solche Kontroversen den Historikern überlassen. Wichtig ist, dass es seit 1945 bereits 60 Jahre der Zusammenarbeit gibt und ein Krieg in Europa auch dank der Zusammenarbeit insbesondere zwischen Großbritannien und Deutschland unvorstellbar geworden ist. Es ist gut, der Opfer zu gedenken, aber man muss auch die Erfolge sehen. Ich selbst werde am Sonntag an der Gedenkfeierlichkeit teilnehmen.

Wie wichtig ist es, am 9. Mai in Moskau des Endes des Zweiten Weltkriegs zu gedenken?

Ich finde es gut, dass der Kanzler dort sein wird – wie ja bereits auch in der Normandie im Juni 2004. Wir sind in der letzten Phase, in der auch Überlebende noch des Kriegsendes gedenken können.

Aber die baltischen Länder haben Einwände, weil damals nicht nur der Krieg zu Ende war, sondern auch die sowjetische Besatzung begann.

Das verstehe ich. Aber wir feiern nicht die Okkupation, sondern das Ende eines furchtbaren, schrecklichen Krieges.

Das Gespräch führten Albrecht Meier, Hans Monath und Andreas Rinke (Handelsblatt). Das Foto machte Mike Wolff.

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