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Politik: „Dummes Geschwätz“

Politiker und Historiker halten wenig von Böhmers Thesen zur Abtreibung

Berlin - Wolfgang Böhmer muss sich jetzt einiges anhören: „Dummes Geschwätz“ habe Sachsen-Anhalts Ministerpräsident von sich gegeben, empört sich die Berliner Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher (Linke) am Montag. Die Chefin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, Carola Bluhm, sprach von „völlig untauglichen Erklärungsversuchen“. Und nicht nur in der Politik, sondern auch bei Medizinhistorikern stößt Böhmer auf Irritation.

Der CDU-Politiker hatte am Wochenende im Nachrichtenmagazin „Focus“ versucht, die Häufung von Babymorden in Ostdeutschland mit einer leichtfertigen Einstellung zu werdendem Leben in den neuen Bundesländern zu erklären. Allein in Brandenburg waren in den vergangenen Wochen in Nauen, Frankfurt (Oder) und Lübben Babyleichen entdeckt worden. Ein Säugling war verhungert, ein anderer ertränkt worden. Böhmer, der bis zum Jahr 1990 selbst Chefarzt der Gynäkologie in Wittenberg war, hatte sich auf die liberale Abtreibungspraxis der DDR bezogen, die einen Abbruch in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten ohne Angabe von Gründen erlaubte.

Keine Frau – weder in der Bundesrepublik noch früher in der DDR – treibe „aus Lust und Laune heraus“ leichtfertig ein Kind ab, betonte nun Lompscher. Thüringens Landtagspräsidentin Dagmar Schipanski, die dem CDU-Bundesvorstand angehört, sagte im ZDF, heutige Mütter seien zu Zeiten der DDR noch Kinder gewesen. Die von Böhmer genannte „übernommene DDR-Mentalität“ komme daher als Ursache von Kindstötungen nicht infrage. Der thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus betonte, er halte historisch-geografische Erklärungsversuche für falsch. „Wir sollten vermeiden, dass wir hier irgendwelche Stigmatisierungen vornehmen, die am Ende auch den ganzen (neuen) Ländern im Ruf schaden“. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla wollte persönlich mit Böhmer reden.

Auch für Medizinhistoriker ist Wolfgang Böhmers These nicht plausibel. Kai Torsten Kanz, Experte für die Geschichte der Abtreibung am Institut für Medizin- und Wissenschaftsgeschichte an der Universität Lübeck, kann sich nicht vorstellen, dass die Entscheidung einer Frau, ihr Kind zu töten, etwas mit der Abtreibungsregelung in der früheren DDR zu tun hat. Bei Kindsmord gehe man eher oft davon aus, dass die Frau in dem Moment kaum zurechnungsfähig sei, in dem sie ihr Kind erst heimlich zur Welt bringt und dann tötet. dpa/ddp/ck

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