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Politik: Ein Hauch von Kälte

Von Gerd Appenzeller

Wäre die CDU ein Wirtschaftsunternehmen, würden konservative Manager vermutlich bewundernd sagen: Donnerwetter, straffe Führung! Da hat die Partei samt ihrer bayerischen Schwester am 18. September ein Wählerverdikt getroffen, das man als Maximum des Minimalen bezeichnen könnte – und über die Gründe dieses Debakels soll erst zehn Wochen später, am 5. Dezember, diskutiert werden. Angela Merkel, die Vorsitzende, will es so. Dann sind die Koalitionsgespräche beendet, ist sie zur Kanzlerin gewählt und an den Schalthebeln der Macht etabliert, dann kann nichts mehr passieren. Denkt sie.

Die Wirklichkeit sieht natürlich ganz anders aus. Im Unternehmen Union brummt und summt es unterm Dach, weil sich selbstverständlich niemand das Nachdenken und das Diskutieren untersagen lässt, zumindest nicht, wenn die Vorsitzende nicht hinschaut. Und die Aufmüpfigen, wie in der Jungen Union, die noch durch Aussprechen und nicht durch Schweigen Karriere machen wollen, die lassen sich überhaupt nicht den Mund verbieten. Sie dokumentierten gerade durch ihr Verhalten beim Deutschlandtag der JU, dass die Partei nicht nur einen verkorksten Wahlkampf zu analysieren hat, sondern auch vor einer quälenden Richtungsdebatte steht.

Leute wie Edmund Stoiber, Jürgen Rüttgers, Horst Seehofer und Karl-Josef Laumann sind davon überzeugt, dass die Union ohne Betonung des sozialen Ausgleichs die strukturelle Mehrheitsfähigkeit und die Gestaltungskraft einer Volkspartei verliert. Kirchliche Soziallehre und rheinischer Kapitalismus sind für sie nicht Vergangenheitsstaffage, sondern nach wie vor gültige Folie, auf die man das Welt- und Gesellschaftsbild von CDU und CSU projizieren muss. Angela Merkel, Friedrich Merz und die Junge Union hingegen wollen die Partei neu positionieren. Sie glauben, mit den Herausforderungen einer globalisierten Welt anders nicht mehr fertig werden und Chancen für die nächste Generation wahren zu können. Sie wollen hin zu so etwas ähnlichem wie einer größeren FDP mit christlichen Komponenten.

Aus ihrem Verständnis der Partei heraus hat Angela Merkel also nicht etwa einen falschen, sondern genau den richtigen Wahlkampf gemacht. Sie hat die Herausforderungen benannt und sich vermutlich bestenfalls gewundert, dass die Wähler ihr auf dem Weg der Erkenntnis nicht gefolgt sind. Eine der wenigen Erfahrungen der Physik, die man auf die Politik nahtlos übertragen kann, ist die, wonach Reibung Wärme erzeugt. Merkels Programm hat sich an der Realität des Wahlvolks – vielleicht auch nur an der gefühlten Realität – so gerieben, dass es aufgeladen wurde, zorngeladen. Wo es den Menschen nicht so gut geht, also im Norden und in der Mitte Deutschlands, sah die CDU besonders schlecht aus, auch bei den ganz jungen und den älteren Frauen, also jenen, die nicht so viel von Familienwerten reden wie die jungen Männer in der Union, die aber im Zweifelsfall Familie leben müssen. In fünf von 16 Ländern erreichte die CDU kein einziges Direktmandat.

Nun kann man sich, wie immer, wenn einem nichts anderes einfällt, damit herausreden, dass der geniale Demagoge Gerhard Schröder zum zweiten Mal einen Wahlkampf in letzter Sekunde gedreht habe. Aber wer hat denn der Union die Vorgabe gemacht, sich vor dem 22. September so aufzuführen, als sei sie bereits an der Regierung, und damit dem Kanzler überhaupt erst den Gestaltungsraum gegeben, sich als härtester Oppositionspolitiker gegen eine vermeintlich drohende, christdemokratisch dominierte Ellbogengesellschaft zu profilieren?

Nein, der größte Fehler der Union in diesem Wahlkampf war dieser Hauch von Kälte, die sie, fest an der rechten Seite der FDP, mit dieser zusammen ausstrahlte. In der großen Koalition werden CDU, CSU und SPD den Bürgern Dinge zumuten müssen, die quer zu allen Vorwahlverheißungen stehen könnten. Alle drei aber, und die Union deutlich mehr als die SPD, müssen überzeugen, dass sie das alles wegen der Bürger, für sie und nicht gegen sie, durchsetzen. Sonst ist der CDU auch am 5. Dezember zwischen 11 und 18 Uhr nicht zu helfen.

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