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Politik: Ein Jahr ist keine Ewigkeit

Von Stephan-Andreas Casdorff

Ein Jahr danach: Die FDP kommt nach Dresden, um sich selbst zu finden. Ein Jahr nach Jürgen Möllemanns Tod. Er ist nicht vergessen. Seine forsche, fordernde, schillernde Politik wird präsent sein, weil sie manchem fehlt – und der Parteitag wird zeigen, wie die Mitglieder die Folgen bewältigt haben.

Einiges ist schon gelungen, im Jahr danach. Die Freien Demokraten haben Abschied genommen von der Vorstellung, dritte Volkspartei zu werden. Sie kümmern sich wieder darum, als treibende politische Kraft erkannt und anerkannt zu werden. Das „Projekt 18“ ist beerdigt, das „Projekt 8“ lebt.

Beide Projekte sind ursprünglich Ideen von Möllemann, werden aber dadurch nicht entwertet. Denn bei beiden knüpfte er anfangs strategisch-politisch an die FDP-Geschichte an: In Nordrhein-Westfalen wollten die Liberalen immer, schon in den sechziger Jahren unter Wolfgang Döring, den Qualitätssprung schaffen von der Partei der zweiten Wahl mit der Rolle des bloßen Mehrheitsbeschaffers zur eigenständigen Kraft. Mit Möllemann an der Spitze der Entwicklung aber irrlichterte die FDP, in NRW und darüber hinaus. Sie versuchte sich an Pop-Politik, dann mit Anti-Politik und landete schließlich in einer Liederlichkeitsdebatte. Die Freidemokraten erreichten die „Spaßgeneration“ nicht, sondern galten plötzlich als Spaßdegeneration. Dann starb Möllemann. Sein Tod und die Umstände waren für die ganze Partei tragisch. Aber sie lebt. Und lebt wieder auf.

Von der bedeutenden Theorie-FDP, die 1996 unter dem jungen Generalsekretär Guido Westerwelle eine viel beachtete Rückkehr erlebt hatte, war lange nichts zu sehen. Jetzt gibt es die Chance, sie neu zu entdecken. Eine Debatte um Rechtsstaatlichkeit in der Zuwanderung könnte dazu dienen, wenn sie nicht nur von Einzelnen geführt wird; eine weitere um die Frage, was unter Bedingungen freiheitlicher Politik und staatlicher Solidarität dem Einzelnen sozial zumutbar ist. Denn moderne Liberale müssen gerade in sozialen Fragen weiter denken als Konservative in SPD und Union. Es muss einer tun, dem man das noch zutraut: Die FDP muss die Staatstätigkeit so weit in Frage stellen, dass sie kommenden Generationen gerecht wird – aber zugleich beachten, dass von ihr mehr erwartet wird, als der Bevölkerung Opfer abzuverlangen. Bloße Dreistigkeit ist in zurückliegender Zeit gleichgesetzt worden mit Entbürgerlichung. Die FDP aber darf ihren bürgerlichen Habitus nicht aufgeben. Verliert sie den, verliert sie Wahlen und sich selbst.

Die FDP ist immer noch der Gefahr ausgesetzt, als kalt und unsympathisch und unnahbar eingestuft zu werden. Ihr Eintreten für, im Zweifel, die Freiheit, und zwar seit Friedrich Naumann vor bald hundert Jahren, hat ihr den Vorwurf des „Neoliberalismus“ eingetragen. Die Vorsilbe soll Erinnerungen wecken an Manchesterliberalismus, an ungezügelten Kapitalismus. Nur ist das nicht, wofür die Partei eintritt. Es muss ihr gelingen, das glaubhaft zu machen und bei den Bürgern zu verankern: Wer soziale Systeme umbauen will, bricht deshalb noch nicht mit der sozialen Marktwirtschaft. Da gilt, was ihr Erfinder Ludwig Erhard sagte: „Nichts ist in der Regel unsozialer als der so genannte Wohlfahrtsstaat. Solche Wohltaten muss das Volk immer teuer bezahlen, weil kein Staat seinen Bürgern mehr geben kann, als er ihnen vorher genommen hat.“

Die FDP hat, wie ihre Europa-Spitzenkandidatin Silvana Koch-Mehrin stellvertretend für viele in der Partei gesagt hat, „viel nachzuarbeiten, damit wir über die Inhalte wahrgenommen werden und nicht als Spaßpartei“, also als Korrektiv der anderen Parteien und als verantwortungsbewusste Vordenkerin. Die Kritik aus den eigenen Reihen ist berechtigt, trifft aber die gegenwärtige Entwicklung nicht recht. Die FDP macht mit Machtpolitik wie im Fall Köhler auf sich aufmerksam – aber sie weiß, dass jetzt Inhalte gefragt sind. Die Rückbesinnung kann beginnen. Ein ernst gewordener Guido Westerwelle will sie verkörpern. Er tut gut daran, denn die Kritik an ihm ist auch ernst. Der Parteitag in Dresden, ein Jahr danach, ist ein passender Zeitpunkt.

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