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Politik: Ein Kämpfer an vielen Fronten

"Frag ich mich auch", lacht Heiner Geißler zurück, wenn er in einer der zahllosen Talk-Shows zur CDU-Krise gefragt wird, warum denn niemand ihn vorschlägt. Zum Parteivorsitzenden.

"Frag ich mich auch", lacht Heiner Geißler zurück, wenn er in einer der zahllosen Talk-Shows zur CDU-Krise gefragt wird, warum denn niemand ihn vorschlägt. Zum Parteivorsitzenden. Heute wird er 70, als zweiter des für die CDU so bedeutenden Jahrgangs 1930. Im Januar hat Kurt Biedenkopf gefeiert, der einmal Geißlers Amtsvorgänger war. Und im April ist Helmut Kohls siebzigster Geburtstag, den feiert die CDU nicht. Kohl war ein Vierteljahrhundert CDU-Vorsitzender, Biedenkopf könnte es noch werden, Geißler sicher nicht.

Selbst auf diesem Geburtstag liegt Kohls schwerer Schatten. Fast gespenstisch, dass der seit Wochen stumme und abwesende Altkanzler ausgerechnet dieser Tage mit Meldungen von sich reden macht, er ginge als Spendensammler über Land, um zurückzuzahlen, was er die CDU gekostet hat. Rachedurst wurde Geißler vorgeworfen, als er mit einem Interview Kohls Schuldgeständnis beschleunigt hat.

Geißler hat nach 1989, als die Wege der beiden Weggefährten unwiderruflich auseinanderführten, den Finger oft auf die Wunde gelegt, die seine Partei heute so schmerzt. Er hat gelegentlich mit schlechten Wahlergebnissen, im ganzen mit Machtverlust dafür gezahlt. Er hat gesehen, dass die Christdemokraten sich ganz und zu sehr auf die Person des Vorsitzenden eingeschworen hatten. Er hat es aber auch nicht ändern, nicht korrigieren können, obwohl er viel Macht hatte in der Union. Deshalb bleiben die Schicksale unwiderruflich verwoben, über Kohls Sturz hinaus.

Macht hatte Geißler als Generalsekretär der CDU. 1977, als er es nach Kohls Zerwürfnis mit Biedenkopf wurde, musste der Parteichef ihn noch durchsetzen. Zwölf Jahre später setzte sich Kohl mit der Ablösung Geißlers über die Mehrheit der Landesverbände hinweg. Das war im Vorfeld des legendären Bremer Parteitags, der als "Putsch-Parteitag" in das Gedächtnis der CDU eingegraben ist. Geißler soll die Frondeure angeführt haben, die Lothar Späth gegen Kohl ins Rennen schicken wollten. Vergeblich.

Dass er einen ganz eigenen Kopf hat, musste Geißler nicht erst nach seiner Entmachtung beweisen. Und sein kämpferisches politisches Talent hat in allen Phasen Aufsehen erregt. Oft im linken Lager, dem Geißler viele Jahre als ausgesprochenes Feindbild gedient hat. Angeeckt ist er aber auch bei den eigenen Leute. In den frühen Jahren, schon Mitte der 70er Jahre, als er mit der Entdeckung der "Neuen Sozialen Frage" das konservative Gesellschaftsbild durchgerüttelt hat. Und in den späten Jahren, als er fast den Dauerstatus des Abweichlers erworben hatte - mit dem Nachteil, das oft einfach abgewunken wurde: Ach, wieder der Geißler. Da war er im anderen Lager entschieden beliebter als im eigenen.

Aufruhr hat Geißler gemacht und gleichzeitig irritiert. Rücktrittsforderungen hat er sich eingehandelt, als er 1983 im Bundestag gesagt hat, "ohne den Pazifismus der 30er Jahre wäre Auschwitz überhaupt nicht möglich gewesen". Ein grüner Außenminister, ein SPD-Verteidigungsminister haben ihm viel später, im Jahr des Kosovo-Krieges, eigentlich Recht gegeben.

Irritiert waren links und rechts als Heiner Geißler erst die neue soziale Frage, später die Frage nach dem Frauenbild der Union aufwarf. Was waren das für Konservative, die der für unendlich spießig gehaltene Provinzler Helmut Kohl da machen ließ? Eine ganze Denk-Fabrik hat der schneidige Generalsekretär in den 80ern im Konrad-Adenauer-Haus beschäftigt. Es ist nicht zuviel gesagt, dass Kohl die Modernisierung der verstaubten Adenauer-CDU ohne Heiner Geißler nicht geschafft hätte. Und auch nicht, dass ohne diese Modernisierung die Rückkehr der Union zur Macht nicht gelungen wäre.

Die vom Jahrgang 1930 waren 15 Jahre alt, als der zweite Weltkrieg zu Ende war. Heiner Geißler, katholisch, süddeutsch, klug, ist einer von denen, die der späten, westlichen Bunderepublik ihr Gesicht gegeben haben.

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