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Politik: …ein Kritiker verschwindet

Wer gern Kinoreklame liest, zweifelt oft an seiner Wahrnehmung. Ein Film, sagen wir: „Otto reloaded“, wird von der Kritik durch die Bank gnadenlos zerrissen.

Wer gern Kinoreklame liest, zweifelt oft an seiner Wahrnehmung. Ein Film, sagen wir: „Otto reloaded“, wird von der Kritik durch die Bank gnadenlos zerrissen. Trotzdem wirbt der Verleih praktisch zeitgleich mit begeisterten Pressezitaten: „Der größte Knaller seit Dick&Doof (,TV 48‘)“ oder „Ablachen, bis der Notarzt kommt (,AltmühltalBote‘)“.Was ist da los?

Mag sein, dass die Leute von „TV 48“ oder ihre Kollegen aus dem Altmühltal einfach einen extremen Humorgeschmack haben. Oder dass der Verleiher aus dem Satz des Kritikers „Ein Turbo-Spaß war geplant, ein Trauerspiel kam heraus“ nur die Worte „Ein Turbo-Spaß!“ herausoperiert. Aber was, wenn auch diese niederträchtige Methode nichts hergibt? In Amerika hat Sony Pictures vor einigen Jahren in Anzeigen gern den Kritiker David Manning von der „Ridgefield Press“ zitiert, der noch die dussligsten Streifen als „Sieger“ oder „Heißesten Star des Jahres“ lobte – bis dann auffiel, dass David Manning nicht existierte und seine Zeitung nur das Mitteilungsblättchen einer Kleinstadt war, das nie eine Filmkritik gedruckt hat.

Ups, sagte Sony, nun ja, irgendwie dumm, das ist halt freie Meinungsäußerung, und die anderen machen es ja auch so, nicht wahr? Aber die Geschichte spielt in Amerika und hat deshalb ein juristisch verblüffendes Ende: Zwei erboste Cineasten zogen vor Gericht, und Sony muss nach dem jetzt verkündeten Urteil jedem Kinogänger fünf Dollar zahlen, der von den Lobsprüchen des erfundenen Rezensenten angelockt und vom Film enttäuscht worden war. Und der Richter verkündete fröhlich, ab sofort könne sich jeder auf die Wahrheit und Exaktheit von Kinowerbung verlassen …

In Amerika! Bei uns kann immer noch jeder werben, wie er will. Nehmen wir den Wahlkampf: Die „Bild“-Zeitung hat jetzt einen Notar beauftragt, die Wahlversprechen der Spitzenpolitiker zu beurkunden. Der sitzt nun in seiner Kanzlei und bappt fette Siegel an Schröder-Sätze wie „Rentenkürzungen wird es mit mir als Kanzler nicht geben“.

Klingt fabelhaft. Aber was, wenn Schröder Kanzler bleibt und die Renten trotzdem kürzt? Wird er dann standrechtlich vereidigt? Geteert, gefedert und in die Spree gejagt? Am Ende, so ist zu fürchten, wird ihn kein deutsches Gericht zu irgendwas verurteilen, nicht einmal dazu, jedem enttäuschten Rentner fünf Euro zu zahlen. Denn Schröder ist garantiert nicht von Sony erfunden. bm

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