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Politik: Ein letzter Rundgang durch die ehemalige Regierungshauptstadt

Wo hoppeln sie denn? Da drüben!

Wo hoppeln sie denn? Da drüben! Nein, nur eine scharrende Amsel im Gebüsch. Schade. Ich wollte ihnen doch tschüs sagen. Wie oft hat mich das Idyll der munteren Hasenfamilie erfreut, auf der Wiese zwischen der Gründerzeit-Villa der Parlamentarischen Gesellschaft und den billigen 60er-Jahre-Bauten der Dahlmannstraße, morgens mürrisch auf dem eiligen Weg von der U-Bahn zum Bundestag. Merkwürdige Stimmung heute. In den Häusern rechts sind die meisten Rolläden heruntergelassen; links, wo früher die Abgeordneten tafelten, residiert nun die Willi-Daume-Stiftung. Irgendwas Olympisches offenbar. Keine Politik. Auf dem Parkplatz ein einsames Auto. Die beige-graue Betonfläche vor dem Plenarsaal prangt so lebewesenfrei in der Sonne wie die grüne Häschenwiese. Vor der gläsernden Türfront drei schmutzig-weiße Amtssäcke und zwei Mülltüten auf einem Haufen. Durch die blaue Plastikfolie schimmert das Etikett eines leeren Kartons: "Einblicke und Ausblicke. 100 Exemplare. Deutscher Bundestag in Berlin". Ob die Hasen auch umgezogen sind?

Ein letzter nostalgischer Spaziergang rund um die Bonner Heussallee. "Regierungsviertel" nannte man das. Eigentlich quatsch. Das Kanzleramt ist hier, das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, aber die Ministerien liegen über die Stadt verstreut bis draußen auf der berühmten Hardthöhe. Im alten Bonner Regierungsviertel ist, nein, auch daran muss man sich erst gewöhnen, war das Parlament zu Hause. Die verschiedenen Plenarsäle, von der alten pädagogischen Akademie über das enge Wasserwerk bis zum luftig-gläsernen Bau von Günter Behnisch. Dann die Abgeordnetenbauten, am bekanntesten der "Lange Eugen", die meisten Vertretungen der Länder beim Bund und die Journalisten.

Wo man sonst vor lauter Guten-Tag-Nicken den Hals kaum senkrecht bekam, begegnet einem jetzt ein stämmiger Mann im offenen Hemd. "Hier sind nur noch die alten Säcke", sagt er und schiebt sich einen Bissen Bockwurst in den Mund. Er steht da mit einem früheren Arbeitskollegen, offenbar aus dem Fahrer- und Botendienst des Bundestages, und beantwortet Fragen, was denn aus diesem oder jenem geworden sei. Die Jüngeren sind alle in Berlin. Eine alte Frau tritt an den Kiosk und fragt: "Wissen Sie, was die mit dem langen Eugen machen? Den bekommt bestimmt wieder jemand zugeschanzt. Sind doch Steuergelder. Da könnte man Wohnungen draus machen." Der Mann drinnen im Kiosk blickt leidend bis genervt. Chefredakteuren, Ministern, Kanzlern - wem hat er nicht alles Wurst, Schokoriegel, Zigaretten, Zeitungen und manchmal diskret einen Flachmann verkauft. Und wer kommt jetzt. Nostalgiker und eine verwirrte Oma. "Iss ruhig geworden", sage ich, als die Pappe meiner letzten pappigen Bonner Wurst im senfverschmierten Papierkorb liegt. "Ja", sagt er, "iss ruhig geworden."

Weiter über die Heussallee. Zwei einsame Taxen stehen da. Die Fahrer unterhalten sich im Fonds. Kundschaft? Woher denn. Früher haben sie hier noch um die Ecke und auf dem Bürgersteig gestanden und dennoch nicht lange warten müssen. Gegenüber liegt das Tulpenfeld, das Herzstück des Presseviertels. Hier wuchsen nie Tulpen, dafür Gerüchte, die Politik wurden. Jetzt sind auch die schönen alten Büsche rausgerupft, der Rasen vor dem Saal der Bundespressekonferenz mit der berühmten getäfelten Holzwand ist planiert. Statt dessen Baufahrzeuge, Container, fast wie in Berlin.

Das größere Pressehaus I ist so gut wie entkernt, im kleineren mit der Ordnungsziffer II sind die meisten Türen verschlossen. Post und Zeitungen liegen auf den Fußmatten. Ganz oben in einem hellen Büro sortiert Claudia Mahnke, Wirtschaftskorrespondentin des Bonner Generalanzeigers, ihre Sachen. Sie bleibt in Bonn und ist bester Dinge, über Mangel an Arbeit kann sie nicht klagen. Post und Telekommunikation boomen in Bonn. Ihre Themen. Aus dem Fenster schaut sie auf die gerüstbewehrte Baustelle, die im Bundestagsverzeichnis einmal als "H T" vor den Zimmernummern geführt war. Das stand für "Hochhaus Tulpenfeld", und dort zieht bald die Regulierungsbehörde für den Telekommunikations-Markt ein.

Weiter geht es, die Heussallee runter an den Rhein. Neben dem "Eugen" stehen noch Umzugswagen, die Ladenzeile mit Post, Bank, Buchhaltung und kleinem Lebensmittelgeschäft wird außer von den Besitzern der Geschäfte fast ausschließlich von Bauarbeitern bevölkert. Auf der anderen Seite des Eugen der unvermeidliche Blick auf den "Schürmannbau". Da haben sie noch Abgeordneten-Büros hochgezogen, als längst klar war, dass dort keine mehr einziehen werden. Verträge, hieß es. Dann kam das Hochwasser, der Bau soff ab. Jetzt wird die Ruine abgerissen und wieder aufgebaut. Derlei politische Baulogik kann nicht nur eine alte Frau verwirren.

Schluss jetzt. Es reicht. Der letzte Weg führt, verkehrswidrig wie meist, über die stark befahrene Adenauerallee, die Schlagader, die Bonn quer durchs Regierungsviertel mit Godesberg verbindet. Hier hat Helmut Kohl den Bonnern eine "Museumsmeile" hinterlassen mit seinem Geschichtshaus, zwei Kunstherbergen sowie dem traditionsreichen Naturkunde-Museum König. Oben im elften Stock des Bonn-Centers, zurück in den Räumen, die seit 1991 das Bonner Korrespondenten-Büro des Tagesspiegels beherbergt haben. Ein eigenartiges Gefühl steigt auf. Abschiedsartikel verfassen auf einem Laptop im bis auf die Regale geleerten Zimmer ist nicht lustig. Gleich wird der Text in die Berliner Zentralredaktion übertragen. Abschließen, der Flieger wartet nicht. Morgen räumen wir unser Büro in Berlin ein. Aber Zeit für einen Abstecher zum Reichstag muss sein. Da findet zwar noch keine Sitzung des Bundestages statt, aber nebenan im Tiergarten, haben mir Eingeborene versichert, hoppeln die Hasen. Erstes Recherche-Problem: Wie erkenne ich die Bonner?

Thomas Kröter

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