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Politik: Ein Tag ohne Einwanderer

Boykotte in den USA und Mexiko sollen auf Bedeutung und Probleme der Migranten aufmerksam machen

Berlin - Millionen von Einwanderern wollen am 1. Mai in den USA nicht zur Arbeit erscheinen – und kein Geld ausgeben. Der Boykott ist Teil einer neuen Protestbewegung, die ein Bleiberecht für Migranten mit illegalem Status fordert. In den vergangenen Wochen demonstrierten in Amerika bereits Hunderttausende gegen eine Verschärfung des US-Einwanderungsgesetzes. Der Boykott ist unter Migrantengruppen umstritten, da befürchtet wird, dass er die Einwanderungsdebatte negativ beeinflussen könnte.

Die Protestbewegung wird hauptsächlich von Lateinamerikanern getragen. Sie machen den größten Anteil der etwa zwölf Millionen Menschen aus, die ohne Aufenthaltsberechtigung in den USA leben. Die meisten von ihnen sind Mexikaner: Fast jeder Zehnte lebt in den USA. Zahlreiche Organisationen haben auch in Mexiko dazu aufgerufen, am 1. Mai Produkte, Geschäfte und Kinofilme aus den USA zu boykottieren. Demonstranten sollen ihre Solidarität mit den Migranten bekunden und in einer Schweigeminute all jener gedenken, die bei einem Versuch, die Grenze zu den USA illegal zu überschreiten, gestorben sind. Allein von September 2004 bis Oktober 2005 waren es nach mexikanischen Angaben 473.

Das mexikanische Außenministerium äußerte sich besorgt, dass ein zu radikaler Protest die Debatte in den USA polarisieren könne. Auch Vertreter der Liga der Vereinten Lateinamerikaner (Lulac) wollen die Aktion nicht als Boykott bezeichnen. Sie betonen, dass lediglich deshalb nichts gekauft werden soll, um die wirtschaftliche Bedeutung der Migranten in den USA zu verdeutlichen. Mexikanische Gewerkschaften, Wirtschaftsvertreter, Bischöfe, verschiedene gesellschaftliche Organisationen und Gouverneure einiger Bundesstaaten signalisierten dagegen ihre volle Unterstützung für die angekündigten Proteste.

Die USA verschärfen seit Jahren ihre Migrationspolitik und verstärken die Grenze zu Mexiko. Gleichzeitig ist die Wirtschaft der USA auf die billigen ausländischen Arbeitskräften angewiesen. Daten des renommierten „Pew Hispanic Center“ zufolge sind 7,2 Millionen Menschen ohne gültige Papiere in den USA angestellt – das sind 4,9 Prozent aller Beschäftigten. Aufgrund ihres unsicheren Aufenthaltsstatus sind sie häufig gezwungen, ungeschützte und unterbezahlte Arbeitsverhältnisse einzugehen.

Nach Angaben der Vereinten Nationen versuchten 2005 rund 1,3 Millionen Menschen die Südgrenze der USA zu überqueren. Dort verdienen sie in der Regel selbst als Billiglohnarbeiter in einer Stunde mehr als in ihren Herkunftsländer an einem Tag. Gelingt ihnen die Reise, schicken viele regelmäßig Geld in die Heimat. Nach Angaben der Bank von Mexiko belaufen sich die Überweisungen jährlich auf etwa 20 Milliarden Dollar. Sie sind nicht nur für die Bevölkerung eine wichtige Finanzquelle, sondern entlasten auch den mexikanischen Staatshaushalt erheblich.

Viele Lateinamerikaner aus Ländern südlich von Mexiko machen sich ebenfalls auf den Weg in den Norden. Daher weiten die USA seit einigen Jahren mit Hilfe der mexikanischen Regierung ihr überwachtes Grenzgebiet nach Süden aus. Die Konsequenz: „Schleppernetzwerke und Korruption profitieren von dem illegalen Status der Migranten und somit auch von jeder Verschärfung der US-Einwanderungspolitik“, sagt der Migrationswissenschaftler Hugo Ángeles. Mexiko werde so zu einem lebensgefährlichen Hindernis, das sie nur mit teuren Schleppern überwinden können. Um die Kosten von oft mehreren tausend Dollar aufzubringen, nehmen sie Schulden auf. Die meisten Migranten brauchen etwa zehn Versuche, um in die USA zu gelangen. Die Zahl der allein reisenden Minderjährigen hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen, berichtet Olga Sánchez, Leiterin einer Herberge für Migranten an der Südgrenze. Sie seien besonders gefährdet, durch den Menschenhandel zur Prostitution gezwungen zu werden.

Inga Rahmsdorf

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