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Politik: Eine französische Geschichte

Azouz Begag ist Kind algerischer Eltern und Regierungsmitglied. Mit den Krawallen schlägt seine Stunde

Wieder hat es in den Vororten der französischen Hauptstadt gebrannt. Zum siebten Mal in Folge gab es in der Nacht zum Donnerstag Krawalle, die vor einer Woche in der Pariser Vorstadt Clichy-sous-Bois ihren Ursprung genommen hatten. Doch die Steine, die jetzt auf Polizisten fliegen, und die Brandsätze, die auf Kommissariate, Geschäfte und geparkte Autos geschleudert werden, haben nicht mehr viel mit der Empörung zu tun, mit der junge Leute vor einer Woche auf den Tod zweier Jugendlicher reagierten, die sich von der Polizei verfolgt glaubten. „Wir sind mit einer von kleinen, offensichtlich organisierten Banden angeführten Guerilla konfrontiert“, erklärte ein Polizeisprecher. Erstmals sei mit scharfer Munition auf die Beamten geschossen worden.

Im Département Seine-Saint-Denis und in drei weiteren Départements wurden 300 Autos angezündet, drei Schulen, eine Polizeistation und eine Autoniederlassung verwüstet sowie ein Einkaufszentrum angegriffen. Unter den Randalierern befanden sich nach Polizeiangaben auch Minderjährige im Alter von zehn bis zwölf Jahren. Wieder gab es Festnahmen.

Angesichts dieser beispiellosen Gewaltserie erscheint die französische Regierung geradezu ohnmächtig. Der Appell von Präsident Jacques Chirac vom Mittwoch, in dem er zum Respekt der Gesetze aufrief, blieb ohne Echo. Nach einer eilends einberufenen Sondersitzung mehrerer Kabinettsmitglieder kündete Regierungschef Dominique de Villepin noch für diesen Monat die Vorlage eines Aktionsplans für die Vorstädte an, mit dessen Ausarbeitung der Innenminister ursprünglich bis Ende des Jahres beauftragt war. Die Hektik überdeckt nur notdürftig die Spannungen, die sich im Regierungslager angestaut haben. Der Erste, der das hemdsärmelige Krisenmanagement von Innenminister Nicolas Sarkozy kritisiert hatte, war Azouz Begag. In de Villepins Regierung ist er zuständig für die Förderung der Chancengleichheit, worunter nichts anderes zu verstehen ist als die Integration der Einwanderer. Als beigeordneter Minister, der dem Wohnungsbauminister Jean-Louis Borloo unterstellt ist, stand Begag bisher eher im Schatten seiner prominenteren Kabinettskollegen. Doch seit dem Beginn der Unruhen schlägt seine Stunde. Man müsse seine Worte wählen, hielt er Sarkozy vor, der die Jugendlichen pauschal als „Abschaum“ bezeichnet hatte. Jeder von Fernsehkameras begleitete Auftritt Sarkozys in einem Problemviertel gerate zur „Provokation“, sagte Begag.

Begag ist de Villepins Entdeckung. Als Innenminister hatte er Begag vergangenes Jahr mit einem Bericht über die Integration beauftragt. Dafür war der promovierte Wirtschaftswissenschaftler der ideale Autor. Er kam 1957 als eines von sieben Kindern einer algerischen Einwandererfamilie in einem Elendsviertel von Lyon zur Welt. Beide Eltern waren Analphabeten. Sein Aufstieg gilt als Beweis dafür, dass die französische Gesellschaft nicht aus sich reproduzierenden Kasten besteht. Und seine Kritik an Sarkozys Auftritten hat inzwischen Folgen: Als der Innenminister in der Nacht zum Donnerstag die Lage in einem Vorort inspizierte, geschah dies ohne das Fernsehen.

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