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Politik: Eine gottlose Komödie - der Prozess im Namen des Volkes gegen den Vertreter des Volkes (Hintergrund)

Italien hat es besser. Es hat, beispielsweise, eine Staatsanwaltschaft, die alles, was die vox populi an Üblem einem Politiker nachsagt, in eine Anklageschrift aufnimmt.

Italien hat es besser. Es hat, beispielsweise, eine Staatsanwaltschaft, die alles, was die vox populi an Üblem einem Politiker nachsagt, in eine Anklageschrift aufnimmt. Giulio Andreotti, der 80jährige Pate der italienischen Nachkriegspolitik und siebenfache Regierungschef, verkörperte angeblich alles: den Mordbuben, Verschwörer und Geheimbündler, den politischen Schutzengel der Mafia in Rom und finsteren Knappen des Vatikan in der Politik. Aber Andreotti, Lichtgestalt und Schattenmann zugleich, war auch ein großer, ein ganz großer Nachkriegspolitiker. Er war der Prototyp des geschmeidigen, eloquenten, gläubigen Politikers - und des eiskalten Engels. Alle Gaben, die die Italiener sich erträumten, hat er ins Leben umgesetzt, vor allem die - auch politische - Freizügigkeit des Herrschenden, das süße Leben über die sauren Verhältnisse hinweg zu garantieren. "Onkel Giulio", diese synthetische Figur, war zwar ein höchst anfechtbarer Politikpriester und gerissener Machtpolitiker, ein Nepot und Intrigant großer Gnaden, aber er schien für alle, so machte er wenigstens glauben, da zu sein. Die Freunde seiner Freunde waren seine Freunde, waren seinesgleichen. Aber war er Mordbube und Mafioso?

Es wäre irgendwie ein Fehler gewesen in der Dramaturgie der italienischen Demokratie, hätte die Justiz beim grossen Ausmisten just den Römer übersehen, da sie die Fesseln der Democrazia Cristiana (DC) doch bereits abgestreift hatte. Mit der römischen Erfolgsmelodie "Brot und Spiele" auf den Lippen fuhr die erste Republik samt DC ins Grab. Ein demokratisches System beging Selbstmord. Und Andreotti, die höchste Symbolfigur der partitocrazia, die den Staat unter sich aufteilte, sollte davonkommen? Unmöglich.

Da schlug, wie bestellt, die Stunde jener Herren, die angeblich mit Andreotti den Teufelspakt eingegangen waren, für den er jetzt zahlen soll: die eingekerkerten, doch plötzlich den Seitensprung mit dem Staat einübenden Mafiosi. Sie alle wurden zu Zeugen: Unser Mann in Rom, das war Andreotti!

Einmal vom Reich des Bösen derart geadelt und in Palermo vor Gericht gestellt, ließ die Vorhölle in Gestalt der Mordanklage in Perugia nicht auf sich warten. Was in Deutschland Entsetzen erzeugt hätte, wurde im Land Dante Alighieris, der die Italiener lehrte, selbst Päpste könnten in die Hölle kommen, als göttliche Komödie zelebriert: Wäre ja noch schöner, wenn das Dies irae just an dem Mann, den wir ein halbes Jahrhundert für einen Mafioso gehalten hatten, vorbeiginge.

Giulio Andreotti, der passionierte Glöckchensammler, ist am Ende seiner langen Reise durch die Gefilde der Macht angelangt. Der Prozess, aus einem Hexengebräu an Unterstellungen, Mutmaßungen, riskanten Schlussfolgerungen und fragwürdigen Zeugenaussagen zusammengerührt, ist - egal wie er endet - die vorerst letzte Sinngebung seines berühmtesten Satzes: "Die Macht verschleißt nur den, der sie nicht hat." Wie wahr.

Rüdiger Scheidges

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