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Politik: Eine Lehre für ältere Semester

DER STUDENTENPROTEST

Von Lorenz Maroldt

Der Streik an den Berliner Hochschulen ist ein bisschen vorbei; die Reste radikaler Verweigerung werden schleichend verschwinden, auch wenn an der Freien und der Technischen Universität anderes beschlossen wurde. Es ist deshalb an der Zeit, die Studenten ein wenig zu trösten. Sie haben fantasievoll gekämpft – und nichts erreicht, wenn sich die Bewertung an den Kriterien der Wirtschaft orientiert. Wer streikt, will mehr Geld. Doch die Berliner Hochschulen bekommen, trotz Streiks, weniger Geld, wie vom Senat geplant und beschlossen. Also eine grandiose Niederlage? Eine Bestätigung der These, dass sich Engagement in der Demokratie nicht lohnt? Das wäre ein Missverständnis. Dieser Protest war großartig erfolgreich.

Frühere Studentenaktionen spielten, wenn es um Hochschulpolitik ging, in der Öffentlichkeit kaum eine Rolle. Der Einsatz für autonome Seminare und Projekttutorien hat einen wie, sagen wir: Ulrich Wickert nie interessiert. Zu selbstbezogen, irrelevant, ideologisch. Öffentliche Unterstützung war selten. Anders heute: Die Aufständischen von 2003 schaffen es locker und bewundert in die Tagesthemen, mit großen Demonstrationen, blanken Busen und Winterbadetagen, vor allem aber mit einem Ziel, das, je länger der Protest dauert, immer weiter über den eigenen kleinen Campus hinausreicht.

Einer der wenigen, die noch so tun, als hätten sie das nicht verstanden, ist der Regierende Bürgermeister. In seiner Durchhalterede zum Jahreswechsel belehrte Klaus Wowereit die Studenten zunächst, sie hätten im Sommer streiken müssen, als der Senat das Sparen beschloss; dann lobte er seine Nerven, weil ihn die Proteste nicht rührten; schließlich erklärte er: „Die Konflikte verlaufen immer nach demselben Muster: Berechtigte Einzelinteressen stehen gegen das von mir zu vertretende allgemeine Interesse künftiger Generationen.“ Aber da irrt er im Fall der Studentenproteste.

Starke Hochschulen sind im Interesse Berlins und des ganzen Landes, und was künftige Generationen betrifft, profitieren auch die von einer besser ausgebildeten Gesellschaft. Einzelinteressen der Studenten allein hätten nicht gereicht für eine Massenbewegung. Zwar waren die Studenten sich nicht in allem einig, zum Beispiel was die Mittel des Protestes betrifft und auch die Dauer des Streiks. In Erinnerung bleibt, wie eine Abordnung des radikaleren Teils der Studenten die Krone eines Weihnachtsbaums vor dem Roten Rathaus absägte, die dann einer Abordnung des weniger radikalen Teils, die unter dem Baum im Protestzelt campierte, gefährlich aufs Dach fiel. Immerhin, die von oben entschuldigten sich, wenn auch mit Verspätung. Aber es ist kennzeichnend für diesen Studentenprotest, dass ihn nicht die Dogmatiker führten.

Natürlich war es naiv, zu glauben, der Senat würde seine Beschlüsse unter Druck schnell kassieren. Dafür sind die politischen Prozesse zu kompliziert, dafür ist der Zwang zum Sparen wegen der Verfassungsklage Berlins auf Bundeshilfe zu groß. Aber die Studenten haben sogar mehr erreicht, als sie ursprünglich wollten. Eine bloße Rücknahme aktueller Kürzungen hätte wenig verändert. Die überraschend offene Diskussion aber über die Zukunft der deutschen Hochschulen, die als eine Folge dieser Proteste gerade so richtig beginnt, ist wertvoll über den Tag hinaus. Denn sie findet nicht nur unter Hochschulexperten statt, und sie beginnt sich zu lösen vom Diktat der Finanzpolitik. Die SPD, zum Beispiel, hat den Windschatten des Protestes genutzt für ihre Aufsehen erregende Elite-Uni-Idee. Jetzt muss sie sich dem Protest auch stellen, in ihrem eigenen Haus. Auf einmal wird darüber gesprochen, was Hochschulen brauchen, nicht mehr nur, wie sie zu schlachten sind. Wer strukturell sparen will, wie der Berliner Senat, braucht künftig auch gute Ideen eben für die Struktur. Dass sich auf einer gepflegten Hochschullandschaft mehr pflanzen lässt als kuriose Proseminare, dass darauf die Hoffnung auf bessere Zeiten gebaut werden kann, diese Ahnung setzt sich so langsam durch.

Das Ende des Streiks wird seinen Erfolg unterstreichen. Es ist nicht feige und fatalistisch, ein Protestsemester doch noch mit Scheinen zu retten, sondern im Sinne des Ziels der Aktionen. Und die gehen ja weiter. In Ruhe kürzt hier keiner mehr.

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