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Flüchtlinge kostet es viel Kraft, ein neues Leben in einem fremden Land aufzubauen.

© Norbert Thomma

Eine Syrerin in Berlin: Begegnung mit dem Albtraum

Unsere syrische Autorin lebt heute in Sicherheit und Freiheit. Doch ein Gefühl der Bedrohung wird sie nicht los. Eine Kolumne.

Die Autorin Vinda Celebi ist vor sechs Jahren aus Syrien geflohen und lebt nun in Berlin. Sie ist Juristin.

Der Albtraum: Auf einmal in Syrien aufwachen und das Land nicht mehr verlassen dürfen. Manchmal hat man seinen Pass verloren, manchmal wird man am Flughafen festgenommen und in vielen Fällen sucht man seine Wohnung und findet sein ganzes Viertel nicht mehr. Ein wiederkehrender Albtraum, den fast jeder Syrer im Exil hat.

Am Anfang dachte ich (die mittlerweile Eingebürgerte), ich wäre die Einzige, die manchmal nachts mit diesem Albtraum aufschreckt. Mit der Zeit stellte sich raus, dass es eine syrischen Eigenschaft ist. Du bist aus Syrien, du hast diesen Albtraum oder wirst ihn bald haben. Auch wenn manche propagieren, dass dort Frieden herrscht und die Sonne scheint und die Vögel zwitschern, ist die Vorstellung, in dieser Phase in Syrien zu leben, für viele Syrer ein Albtraum.

Es ist ein Albtraum nicht nur für politisch Verfolgte, die im besten Fall in den Gefängnissen vergessen werden, oder für die Männer und Frauen, die vor acht Jahren gegen die Regierung protestierten, dieselbe Regierung, die jetzt für „Frieden“ im Land sorgt. Sondern auch für Leute, die in Deutschland die Freiheit kennen- und lieben lernen dürfen.

„Macht es euch hier bitte nicht bequem.“

Die Leute, die sich hier persönlich, künstlerisch oder sexuell entfalten können, ohne politische, soziale oder religiöse Zensur zu befürchten. „Ich bin erst drei Jahre alt“, hat mir eine Freundin mal gesagt, „ich konnte nie die Person sein, die ich sein wollte. Erst seitdem ich in Berlin lebe, gehört mir mein Leben.“

Die Realität: Dieses Land hat seine Türen für Syrer weit geöffnet und ihnen einen neuen Anfang angeboten. Die Leute versuchen mit viel Kraft, in dem neuen Land ihre Zelte wieder aufzuschlagen. Aber sie legen ihr Leben still, wenn sie das Gefühl haben, es könnte ihnen noch mal alles weggenommen werden. Warum das so ist?

Auf der einen Seite bietet die Bundesrepublik Sprach- und Integrationskurse und Maßnahmen an, um ihnen den Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen, sowie Unterstützung bei Ausbildung und Studium. In einfachen Worten: „Ihr solltet euch bitte integrieren.“ Aber auf der anderen Seite denken die Syrer, Deutschland könne es nicht erwarten, sie wieder nach Hause zu schicken. Ständig wird debattiert, ob der Abschiebestopp verlängert oder aufgehoben wird. In anderen Worten: „Macht es euch hier bitte nicht bequem.“

Ich möchte nicht meinen Albtraum leben

Begegnung mit dem Albtraum: Wer in die syrischen Facebook- Gruppen und Internetseiten reinschnuppert, braucht nicht lange, um festzustellen, dass die am meisten diskutierten Themen Nachrichten sind über neue festgesetzte Abschiebungstermine oder Aufforderungen, das Land zu verlassen. Es wird dabei nicht unterschieden, ob die Aufforderung offiziell von der Bundesregierung kommt oder ob sie eine reine „populistische“ Provokation ist.

Es ist für einige Internetaccountbetreiber regelrecht ein Geschäftsmodell geworden, immer wieder Nachrichten dieser Art zu veröffentlichen, um möglichst viele Follower zu bekommen. Dabei werden die Nachrichten oft aus dem Kontext gerissen, um sie möglichst gefährlich und gruselig darzustellen.

Das Fazit: Wenn wir auf unsere jährlichen Ausgaben schauen, stellen wir fest, wie viel wir Deutsche (wenn ich in diesem Kontext als Deutsche sprechen darf) für Versicherungen ausgeben, um uns gegen die unterschiedlichen Risiken zu versichern. Gleichzeitig lebt neben uns eine Gruppe von Menschen mit dem nicht versicherbaren Risiko, ihre ganze aufgebaute Existenz zu verlieren. Das ist aber vielen egal, denn es betrifft ja die anderen. Schlimmer noch, immer mehr finden es sogar gut!

Jedem ist bewusst, wie kompliziert die Themen Asylpolitik und Integration sind und wie viele rechtliche, politische und finanzielle Aspekte mitspielen. Es lohnt sich aber trotzdem, einen Blick auf den menschlichen Aspekt zu werfen und zwar auf die Ängste und Sorgen dieser Menschen, um die es schließlich geht.

Als ich in einem Treppenhaus in Berlin-Friedrichshain an einer Wand gelesen habe „Träume nicht, lebe deinen Traum!“, blieb ich begeistert stehen und habe den Spruch für einen syrischen Freund übersetzt. Er konterte lachend: „Ich möchte nur leben – und hoffentlich nicht meinen Albtraum.“

Vinda Celebi

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