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Börsenhändler sitzen im Handelssaal der Frankfurter Wertpapierbörse an ihren Arbeitsplätzen.

© Arne Dedert/dpa

Einträge ins LOGBUCH: Was der Mensch zu Markte trägt

Die Freiheit des Menschen wird zunehmend mit der Freiheit des Marktes gewechselt. Das gefährdet die Demokratie. Eine Kolumne.

Oft wird Demokratie mit der freien Marktwirtschaft in einem Zug genannt. Als würde es sich um zwei Wesensmerkmale ein- und desselben Systems handeln. Dabei ist die Demokratie ein viel älteres Konzept als die freie Marktwirtschaft. Diese fehlte in der griechischen Antike, als eine direkte Demokratie längst für mehr als sechs Generationen etabliert war. Natürlich gab es Händler und Märkte. Der Markt war allerdings noch nicht die dominante Regulierungsform gesellschaftlicher Ressourcen, einschließlich Natur und Arbeitskraft. Dies kam erst tausende Jahre später.

Jeder Bürger sollte frei wählen, wie sein Eigentum eingesetzt wird

Die Tendenz Demokratie und Marktwirtschaft zusammenzudenken, hat auch damit zu tun, dass die liberalen Urväter der freien Marktwirtschaft ideengeschichtlich verknüpft sind mit den Vordenkern der neuzeitlichen Demokratien. Diese zielten auf die Befreiung des Bürgers und seines Eigentums von der Herrschaft des Adels ab. Die erst mit der Abschaffung des Adels aufkommende Bedeutung des Einzelnen und seines Glücks und der damit verbundene Individualismus implizieren, dass jeder Bürger (zunächst nicht so sehr jede Bürgerin) frei wählen darf, – auch, wie sein Eigentum eingesetzt wird. Diese Verteidigung des Individuums seitens der Liberalen des 18. und 19. Jahrhunderts hegte aber nicht nur individuelle, sondern auch kollektive Ziele. Sollte doch das Laissez-faire nicht allein zum Wohlstand des Einzelnen führen, sondern zum „Wohlstand der Nationen“. Demokratietheoretisch sieht der Liberalismus also letztlich zwei Wege der kollektiven Entscheidungsfindung vor: eine politische durch die Wahl an der Urne und eine ökonomische durch die individuellen Konsum- und Produktionsentscheidungen.

Damit gehen zwei wesentliche Probleme einher, die bereits im 19. Jahrhundert erkannt wurden, deren Relevanz aber zunimmt. Erstes Problem: Die ökonomischen Einzelentscheidungen zielen nicht auf ein kollektives Ergebnis ab, erzeugen aber eines. Daraus folgt, dass die individuellen Entscheidungen womöglich anders ausfallen würden, wenn sie das kollektive Ergebnis als Wahlkriterium heranziehen würden. Dies kann die Marktwirtschaft aber nicht leisten, weil die individuelle ökonomische Entscheidungsfindung gerade ihren Kern ausmacht. Aus demokratischer Sicht ist das ein Problem, weil das Wahlvolk bezogen auf Ökonomie in einer Marktwirtschaft einen erheblichen Teil seiner Herrschaft an den Markt abgibt. Wirtschaftspolitik, vom Demos gewählt, kann nur versuchen, marktwirtschaftlich erzeugte Ungleichheiten ex post auszugleichen oder ex ante zu reduzieren, in dem Individuen Anreize gesetzt werden, das kollektive Ergebnis in ihre Entscheidungsfindung zu integrieren. Das zweite Problem: Anders als bei der politischen Kollektiventscheidung, wo die Stimme eines jeden wahlberechtigten Individuums gleich viel zählt, also unabhängig ist von dessen verfügbaren Ressourcen, bekommen bei der ökonomischen Wahl sehr wohl einige Entscheidungen mehr Gewicht als andere. Was das entscheidende Individuum geerbt hat, welches Eigentum es aktivieren kann, hat Auswirkungen auf die Wirksamkeit seiner Entscheidung, eben auch bezogen auf das Kollektivergebnis. Hier dringt also durchaus eine Art „Ständesystem“ in die kollektive Wahlentscheidung, welche die bürgerliche Revolution nun gerade abschaffen wollte.

Ein "Ständesystem" drängt sich in die kollektive Wahlentscheidung

Eine Erzählung, die Märkte als wesentlich für Demokratien beschreibt, verhindert die Möglichkeiten demokratischer Herrschaftsreduktion. Hier findet eine Verwechslung von der Freiheit des Menschen mit der Freiheit des Marktes statt.

Deniz Utlu

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