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Politik: Endlager gesucht

Innenminister Schily hat die Stasi-Unterlagenbehörde abgegeben. Jetzt geht es um ihre Existenz

Von Matthias Schlegel

Berlin - Die Diskussion über den endgültigen Verbleib der Stasi-Akten ist eröffnet. Ausgelöst wurde sie durch den überraschenden Beschluss von Innenminister Otto Schily (SPD) aus der vergangenen Woche, die Zuständigkeit für die Stasi-Unterlagenbehörde an Kulturstaatsministerin Christina Weiss abzugeben. Weiss dementierte am Freitag zwar einen Bericht der „Berliner Zeitung“, in dem von einem Papier die Rede war, das die Abwicklung der von Marianne Birthler geleiteten Institution vorsehe. Nach den Wortes ihres Sprechers Hagen-Philipp Wolf sei aber allen klar, dass der Auftrag der Stasi-Unterlagenbehörde entsprechend den veränderten Bedingungen überarbeitet werden müsse. Dies sei jedoch Aufgabe der gemeinsamen Gespräche mit der Birthler-Behörde und vielen Sachverständigen, die im nächsten Jahr beginnen sollen, sagte Wolf dem Tagesspiegel. Das nun kursierende Papier sei lediglich eine von vielen „Ideenskizzen“ gewesen, die „weder politisch bewertet noch abgestimmt“ gewesen sei. Birthler wandte sich indes in einem Brief an den Bundestag. Die Aufgaben der Bundesbeauftragten seien per Gesetz geregelt, unterstrich Birthler. Änderungen lägen nicht bei der Exekutive.

Die Meinungen, ob die Behörde mitsamt den Akten bei der Kulturstaatsministerin besser aufgehoben ist, gehen auseinander. Die Grünen-Innenpolitikerin Silke Stokar kritisierte zwar, dass Schily den Zuständigkeitswechsel nicht mit dem Koalitionspartner abgestimmt habe. In der Sache selbst beurteilt sie die Entscheidung aber positiv. Schily habe „oft nicht nur Desinteresse, sondern Ablehnung in Bezug auf die Stasi-Unterlagenbehörde deutlich gemacht“. Der stellvertretende Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses Hartmut Büttner (CDU) beklagt wie Opferverbände und das Leipziger Bürgerkomitee, dass weder die Stasi-Unterlagenbehörde noch die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur „ins Museum“ gehöre. Die Aufklärungsarbeit der Birthler-Behörde habe „unverändert innenpolitische Priorität“. Anderer Meinung ist Günter Nooke, kultur- und medienpolitischer Sprecher der Unionsfraktion. Unter dem Dach des Kulturministeriums könnten die Kräfte „sinnvoll gebündelt werden“, sagte er.

Nooke teilt die Meinung vieler Wissenschaftler und Forscher. Sie kritisieren, dass sie bei der Nutzung der Stasi-Akten gegenüber den „behördeneigenen“ Forschern aus dem Hause Birthler benachteiligt werden. Nur diese hätten „einen direkten Zugriff auf die Unterlagen", beklagte etwa Hubertus Knabe, Leiter der Gedenkstätte Hohenschönhausen, unlängst bei einer Anhörung der Unionsfraktion. Mit zunehmender Dauer konterkariere die „Sondergesetzgebung“ – mit strengen Festlegungen zum Schutze der Persönlichkeitsrechte Dritter – die ursprüngliche Absicht. Die als „Aktenöffnungsrecht“ konzipierte Gesetzgebung werde zum „Aktenverschließungsrecht“.

Bei der Anhörung waren sich fast alle Sachverständigen einig, dass die MfS-Hinterlassenschaft in zehn bis fünfzehn Jahren in das Bundes- beziehungsweise in die Staatsarchive der Länder überführt werden sollte. Hartmut Weber, Präsident des Bundesarchivs, wies darauf hin, dass es sich rechtlich um Unterlagen des Bundes handle, deren sachgerechte archivische Verwaltung durch das Stasi-Unterlagengesetz nur unterbrochen worden sei. Das Bundesarchiv sei „bereit und in der Lage“, die Akten eines Tages zu übernehmen. Er wie auch andere Experten erklärten, dass der öffentliche Zugriff auf die Stasi-Akten dann durch das Archivrecht besser als durch das Stasi-Unterlagengesetz gewährleistet sei. Ob das dem Vermächtnis der friedlichen Revolution entspricht, wird die Politik bis dahin zu klären haben.

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