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Politik: Entlassung ausgeschlossen?

Schweizer Initiative will Gewaltverbrecher für immer wegsperren lassen – heute stimmen Eidgenossen darüber ab

„Im Februar 1996 wurde mein Patenkind von einem Wiederholungstäter entführt, mehrfach vergewaltigt und so lange stranguliert, bis es kein Lebenszeichen mehr von sich gab.“ Noch heute packt Anita Chaaban die Wut, wenn sie das Martyrium der damals 13-jährigen Katja erzählt. Das schwer verletzte Mädchen überlebte, wird aber immer wieder von den Szenen verfolgt.

Seit dem Beinahe-Mord haben die Patentante und Katjas Mutter keine Ruhe gegeben, sie starteten eine Volksinitiative: Die Schwestern aus der Schweiz wollen, dass „nicht therapierbare, extrem gefährliche Sexual- und Gewaltstraftäter“ in ihrem Land faktisch lebenslang weggesperrt werden. Am Sonntag stimmen die Eidgenossen über die verschärfte „Verwahrung“ ab. Sagen sie Ja, muss das Gesetz geändert werden. Die Regeln wären dann noch schärfer als in Deutschland, wo das Bundesverfassungsgericht erst am Donnerstag die unbefristete Sicherungsverwahrung gebilligt hat.

Besonders grausame Sexualverbrechen – 2002 erfasste die Polizei 3800 Delikte – haben die Volksseele zum Kochen gebracht: Rund 200000 Schweizer unterstützen per Signatur den Vorstoß. Das gemeinsame Motto: „Wir werden dafür kämpfen, dass die Mörder nie mehr jemandem wehtun können.“ Um Rückfälle auszuschließen, soll den Verurteilten in Zukunft der Hafturlaub gestrichen werden. Und einer vorzeitigen Entlassung würde praktisch auch ein Riegel vorgeschoben. Denn zwei voneinander unabhängige, übereinstimmende Gutachten müssten „auf Grund von neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen beweisen, dass der Täter geheilt werden kann“.

Fachleute protestieren: „Wer sagt, wann wissenschaftliche Erkenntnisse etabliert sind?“, fragt Frank Urbaniok, Chefpsychiater des Justizvollzuges des Kantons Zürich. Die Ungereimtheiten gingen zu Lasten der Inhaftierten. Noch heftiger schüttelt Urbaniok den Kopf, wenn die Kosten einer Fehldiagnose ins Spiel kommen. Die Initiatoren verlangen: Falls die Gutachter einem Täter die Tür zur Freiheit doch öffnen und er rückfällig wird, muss die zuständige Amtsstelle haften. „Es ist hochproblematisch, bestimmte Berufsgruppen eigens entworfenen Sonderhaftungsregelungen zu unterwerfen“, kritisiert der Amtsarzt diesen Passus der Initiative.

Andere Experten fürchten, dass aus Angst vor Fehlurteilen so gut wie nicht mehr zu Gunsten der Inhaftierten entschieden würde. Die Folge: Alte und gebrechliche Täter, die rein physisch nicht mehr gefährlich wären, müssten bis zu ihrem Tod in der Verwahrung schmoren. „Einfach unmenschlich und unbarmherzig“, klagt der liberal gesinnte Abgeordnete Walter Donzé.

Auch die Schweizer Regierung lehnt die Initiative ab. Pikant dabei sind die Auftritte des Rechtspopulisten Christoph Blocher, der als neuer Justizminister nun die Linie des Kabinetts verkaufen muss: Das reformierte Schweizer Strafrecht, das 2006 in Kraft tritt, bringe „mehr Sicherheit“ als der Plan aus dem Volk, sagt er. Doch der Privatmann Blocher sympathisiert weiter mit der Initiative. Bevor der Justizminister die offizielle Berner Position verkündete, sagte er: „Meine persönliche Meinung interessiert nicht mehr.“

Jan Dirk Herbermann[Genf]

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