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Politik: Entwicklungshilfe: "Unser gutes Leben und unsere Sicherheit sind in Gefahr" - Ricardo Diez Hochleitner im Interview

Ricardo Diez Hochleitner (71) ist Verleger und Präsident des Club of Rome, in dem Wissenschaftler und Politiker über weltweite Probleme diskutieren und dessen Zukunftsszenarien wiederholt für großes Aufsehen sorgten. Der Spanier engagiert sich seit 50 Jahren weltweit in der Bildungspolitik, unter anderem als Abteilungsleiter bei Weltbank und Unesco.

Ricardo Diez Hochleitner (71) ist Verleger und Präsident des Club of Rome, in dem Wissenschaftler und Politiker über weltweite Probleme diskutieren und dessen Zukunftsszenarien wiederholt für großes Aufsehen sorgten. Der Spanier engagiert sich seit 50 Jahren weltweit in der Bildungspolitik, unter anderem als Abteilungsleiter bei Weltbank und Unesco. Er ist Präsident des Internationalen Beirats der Expo 2000. Am heutigen Dienstag kommt er nach Hannover zum "Global Dialogue" der Weltausstellung, auf dem 400 internationale Experten Strategien zur Bekämpfung der Armut diskutieren wollen.

Der Club of Rome sieht in der Armut eine globale Gefahrenquelle. Worauf gründen Sie diese Warnung?

Armut ist nicht nur ein enormes Problem für diejenigen, die direkt von ihr betroffen sind. Wenn die Verarmung weitergeht wie bisher, könnte sogar eine Revolution drohen, die auch die reichen Staaten in Mitleidenschaft ziehen würde. Wenn die Kluft zwischen armen und reichen Ländern weiter auseinander geht, ist zu befürchten, dass es eines Tages einen neuen Marx, einen neuen Lenin geben wird - und der Slogan wird dann lauten: "Arme aller Länder, vereinigt Euch!"

Wieso?

Die Zahl der Armen ist in den vergangenen Jahren rapide gestiegen. Und die Armen werden immer ärmer. 1,2 Milliarden Menschen weltweit müssen mit weniger als einem Dollar am Tag auskommen. Gleichzeitig ist der andere Teil der Welt wohlhabender als je zuvor und lebt in einem oft obszönen Reichtum. 20 Prozent der Weltbevölkerung verfügen über 85 Prozent des Reichtums. Vor knapp fünf Jahren lag das Verhältnis noch bei 20 zu 76. Der soziale Zusammenhalt vieler Länder ist bedroht.

Zum Beispiel?

Mir liegt zum Beispiel Kolumbien sehr am Herzen. Das Land hat mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen vor allem wegen des Drogenhandels. Die Ursache dafür ist die Armut der ländlichen Bevölkerung, die für ihre Kartoffeln, Bananen oder ihren Kaffee keine fairen Preise im Welthandel erhalten und deswegen Kokain anbauen, obwohl sie es eigentlich gar nicht wollen - aber sie haben keine andere Wahl. Ähnlich ist es in zahllosen asiatischen und afrikanischen Staaten. Auch in Ruanda, Burundi oder Sierra Leone sind viele Leute nicht einfach Verbrecher, sondern leben in unerträglicher Armut und sind deswegen leicht für die Interessen von Kriminellen zu benutzen.

Und die reichen Länder?

Auch in den reichen Ländern vergrößert sich der Abstand zwischen Arm und Reich zunehmend. In den großen Megastädten wachsen die Armenviertel an den Stadträndern jeden Tag ein bisschen - und diese Leute werden nicht mit verschränkten Armen zusehen, wie ihre Kinder in Armut groß werden, wenn sie gleichzeitig mehr und mehr Konsum sehen. Ein wirklich Armer ist man in dem Fall erst, wenn man die Erwartungen der Reichen verinnerlicht hat und deren Wohlstand haben möchte.

Was sollten die reichen Länder tun?

Wir müssen aufhören, so verschwenderisch mit unserem Reichtum umzugehen. Wir müssen mithelfen, die Kluft gegenüber den armen Ländern zu verkleinern.

Wie wollen Sie das erreichen?

Als erstes müssen wir ehrlich sein und nicht nur über die Probleme reden, sondern uns auch entsprechend unserem Wissen verhalten. Es reicht nicht, ein paar Entwicklungsprojekte zu unterstützen. Da alle bisherigen Versuche nicht viel gebracht haben, muss man versuchen, den reichen Ländern Angst zu machen. Man muss den Reichen zeigen, dass es in ihrem egoistischen Interesse ist, auf die Armen Rücksicht zu nehmen. Denn sonst sind unser gutes Leben und unsere Sicherheit in Gefahr.

Aber reicht Angst als Motivation aus, damit die Industrieländer mehr als bisher gegen die Armut unternehmen?

Die meisten reichen Länder agieren auf der Basis von Egoismus und nicht auf der Basis von Solidarität. Die Industrieländer müssen sich deswegen bewusst darüber werden, dass es hier auch um Zukunftsmärkte geht, die man im gemeinsamen Interesse wirtschaftlich und politisch stabilisieren muss.

Was wären erste nötige Schritte?

Man müsste erstens in den reichen Ländern eine einkommensabhängige Steuer einführen, die der internationalen Bekämpfung der Armut zugute kommt. Es reicht nicht, den armen Ländern hin und wieder mal ein Almosen zu geben, wie bei einem Bettler, der am Straßenrand sitzt. Wir müssen wesentlich mehr Entwicklungshilfe als bisher geben. Zweitens müssten den ärmsten Ländern alle Schulden erlassen werden. Das wird auch von vielen führenden Politikern immer wieder gefordert - aber wirklich erlassen wurden bisher nur sehr wenige Schulden.

Müsste man statt der Armut nicht zuerst die Bildungsdefizite bekämpfen?

Nein. Das globale Bildungsdefizit ist zwar ein großes Problem und oftmals Ursache von Armut. Bildung ist die beste langfristige Lösung. Aber zuerst muss man die unmittelbare Not bekämpfen: Hunger und schwere Krankheiten wie Aids.

Aber ist eine Alphabetisierungskampagne nicht ein besseres Mittel gegen den Hunger als ein Sack Reis?

Einerseits stimmt das chinesische Sprichwort: Man sollte einem Armen lieber das Angeln beibringen, als ihm einen Fisch zu schenken. Aber es gibt in den armen Ländern viele junge Leute, die haben nicht einmal mehr die Kraft, in einer Schule zu sitzen, weil sie nicht genug gegessen haben. Man kann nicht über Alphabetisierung sprechen, wenn nicht vorher die Grundbedürfnisse Wasser, Essen und Gesundheit gelöst wurden. Und das bedeutet heutzutage auch Informatisierung. Wir brauchen einen weltweiten Zugang zu neuen Technologien, damit wir alle die gleichen Chancen haben.

Die Konzerne der Industrieländer haben die Entwicklungsländer als Markt entdeckt. Vergrößert sich dadurch die Armut?

Das Problem ist nicht, dass die Dritte Welt ein Absatzmarkt geworden ist. Ich habe nichts dagegen, wenn man sich gegenseitig als Märkte entdeckt. Aber man muss auch den armen Ländern die Möglichkeit geben, unsere reichen Länder als Märkte zu nutzen. Aber die Chance haben sie oft nicht, weil wir die Naturschätze der armen Länder rauben, ohne die wirklichen Kosten dafür zu bezahlen.

Muss die internationale Marktwirtschaft also politisch stärker reguliert werden?

Ich habe großen Respekt vor dem freien Markt, wenn er ethisch orientiert ist. Aber es muss auch eine gewisse Regulierung geben, sonst haben wir ein Chaos, in dem sich immer der Stärkere durchsetzt.

Der Club of Rome sieht in der Armut eine globale G

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