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Politik: „Es fehlen Schutzmaßnahmen für einen fairen Prozess“

Richard Dicker von Human Rights Watch kritisiert das Verfahren gegen Saddam Hussein und den US-Beraterstab des Tribunals

Sie haben in Bagdad den Prozess gegen Saddam Hussein am Iraqi High Tribunal beobachtet. Was ist Ihr Eindruck vom Verfahren?

Solche Prozesse sind von enormer Bedeutung für die Opfer des Baath-Regimes. Wir wünschen uns, dass sie in deren Sinne erfolgreich verlaufen und generell die Rechtsordnung stärken. Um wirklich Erfolg zu haben, müssen solche Verfahren aber fair ablaufen. Daher sind wir in Sorge über den Mangel an international anerkannten Schutzmaßnahmen für faire Prozesse am Iraqi High Tribunal.

Die Staatsanwaltschaft konzentriert sich im Fall Saddam Hussein auf einen speziellen Fall, den Mord an 148 Schiiten aus dem Dorf Dudschail in den 80ern – die Verteidigung sagt, es habe sich um einen Vergeltungsschlag gegen einen Attentatsversuch auf den Diktator gehandelt. Ist dieses konzentrierte Vorgehen empfehlenswerter als das der Ankläger im Megaprozess gegen den verstorbenen Slobodan Milosevic?

Die Morde an nahezu 150 Zivilisten in Dudschail waren horrende Verbrechen, die unbedingt Strafverfolgung nach sich ziehen müssen. Aber sie spiegeln keineswegs das gesamte Ausmaß der Verbrechen des früheren Regimes wider. Nach Schätzungen von Human Rights Watch wurden allein im Nordirak mehr als 100 000 Kurden ermordet – Massaker geschahen auch schon im Vorfeld der so genannten Anfal-Kampagne gegen irakische Kurden zwischen März und September 1988. Zigtausende schiitischer Männer wurden massakriert oder „verschwanden“ zudem ab 1991 bei der Intifada im Süden des Landes. Wenn es bei einem Prozess um solche Verbrechen geht, sollte die Anklage sorgfältig erwägen, welche Fälle sie aufgreift, damit der Prozess die tatsächliche Brutalität des Geschehenen widerspiegelt. Andererseits sollte sie es vermeiden, so viele Fälle einzubeziehen, dass sich das Verfahren übermäßig in die Länge zieht.

Wie geht es jetzt am Irakischen Tribunal weiter?

Da die Arbeit des Tribunals mit dem vergleichsweise „kleinen“ Fall Dudschail begonnen hat, dürfen wir davon ausgehen, dass das Gericht dazugelernt hat und dass künftige, komplexere Fälle eher internationalen Standards entsprechen.

Der Irak ist derzeit alles andere als sicheres Gelände. Drei Strafverteidiger im Prozess wurden ermordet, im Januar trat ein Richter zurück. Ist Bagdad der richtige Ort für diesen Prozess?

Human Rights Watch war von Beginn an der Ansicht, es wäre besser gewesen, ein gemischtes Tribunal zu installieren, mit internationalen Richtern und Anklägern an der Seite ihrer irakischen Kollegen. Ein so genanntes hybrides Gericht wurde für Sierra Leone gegründet, und es hätte für den Irak das Potenzial für einen fairen Prozesses vergrößert, es hätte das Tribunal besser vor innenpolitischem Druck schützen können und die Unabhängigkeit der Justiz unterstrichen. Auf meinen Reisen im Irak habe ich begriffen, wie wichtig es den Menschen ist, dass die Prozesse bei ihnen im Land stattfinden. Wenn sich aber die erschreckende Sicherheitslage in Bagdad verschlimmern sollte, wären wir dafür, das Verfahren an einen anderen Ort zu verlegen. Sie sehen ja im Fall des jüngsten Mordes an Saddams Anwalt Khamis al Obeid, wie wenig das Tribunal den Sicherheitsanforderungen für die Strafverteidiger gerecht wird. Wir befürchten, dass dieser Vorfall einen sehr negativen Einfluss auf eine gute Verteidigung haben wird. In den vergangenen Monaten haben wir viele Interviews mit Strafverteidigern geführt und immer wieder die Klage gehört, dass sie nie die vom Tribunal und den US-Beratern versprochenen Gelder für bewaffneten Schutz durch die Streitkräfte erhalten haben. Einige Anwälte mussten ihre Leibgarde deshalb entlassen. Uns besorgt die offenkundige Tatenlosigkeit und Gleichgültigkeit des Tribunals sowie dessen amerikanischen Beraterstabes, für diese Probleme eine dauerhafte Lösungen zu finden.

Die Anklage fordert für Saddam die Todesstrafe. Ihre Organisation ist grundsätzlich gegen diese Strafe. Sehen Sie Ausnahmen im Fall solch entsetzlicher Verbrechen und Massenmorde? Es gibt Stimmen, die hier die Urteile der Alliierten in Nürnberg als Vorbild nennen.

Aus der Sicht von Menschenrechtlern stellt die Todesstrafe immer ein grausames und inhumanes Strafmaß dar. Sie sollte, aus Prinzip, niemals gegen einen Angeklagten verhängt werden, ganz gleich, welcher Taten er sich schuldig gemacht hat. Wir meinen auch, dass es der neuen Regierung schon allein deshalb weitaus besser anstünde, sich von der Todesstrafe endgültig zu verabschieden, um sich umso deutlicher von den Praktiken des vorigen Regimes zu unterscheiden. Mit anderen Worten: Wir sehen überhaupt keine Grundlage dafür, vom klaren Nein zur Todesstrafe abzulassen.

Das Gespräch führte Caroline Fetscher

Richard Dicker ist der Direktor des International Justice Program of Human Rights Watch, New York. Er beobachtet den Prozess gegen Ex-Diktator Saddam Hussein.

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