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Politik: Es muss ja nicht Rastelli sein

Von Gerd Appenzeller

Politische Voraussagen sind nicht ganz so spekulativ wie Börsenprognosen. Aber hier wie dort weiß man erst hinterher, ob man mit seinen Thesen richtig lag. Auf keinem Gebiet hatten Experten durch den Berliner Regierungswechsel so wenig Wandel erwartet wie auf dem der Außenpolitik. Knapp zwei Monate nach dem Amtseid der Bundeskanzlerin und am Ende ihrer Reisen zu den für Deutschland wichtigsten Schauplätzen der Weltpolitik findet sich die Vorausschau bestätigt – und modifiziert. Es hat sich nichts geändert, und trotzdem ist wenig gleich geblieben.

Die Einbindung der Bundesrepublik in politische und militärische Allianzen gilt vom Regierungswechsel unbeeinflusst fort. So wenig sich aber in der Sache selbst Neues ergeben hat, so sehr verwandelt ein anderer Stil den Blick auf die Dinge und verschiebt damit eben doch Gewichte. Angela Merkel erweckt den Eindruck, als betrachte sie Problemstellungen weniger vom Konflikt her als von der denkbaren Lösung. Nach dem Besuch in Washington und am Ende der Reise nach Moskau wird deutlich, dass die Außenpolitik der Bundesrepublik sich wieder auf traditionelle, bewährte Gesetzmäßigkeiten besinnt. Dazu gehört, sich niemals in eine Situation hineinmanövrieren zu lassen, in der man zwischen den USA und Frankreich entscheiden muss. Genau in diese Lage geriet Deutschland in der Irakkrise, als es sich zusammen mit Frankreich und Russland gegen die USA positionierte.

Denn ist die Entscheidung in der Sache – Nein zum Krieg – auch unverändert richtig, so bleibt der Stil doch fragwürdig. Er führte nicht nur zu einem Riss in den deutsch-amerikanischen Beziehungen, sondern im öffentlichen Erscheinungsbild zu einer Umwertung der traditionellen Partnerschaften. Russland schien für Deutschland plötzlich der wichtigere Alliierte als die USA zu sein. Anfangs bewegte sich Gerhard Schröder zwar in der Sache durchaus nachvollziehbar und in der Tradition aller Kanzler seit Adenauer. Verlässliche deutsch-sowjetische oder deutsch-russische Beziehungen sind vor dem Hintergrund von Geschichte und realen Machtverhältnissen ein Essential der Außenpolitik. Aber wiederum war es der Stil der persönlichen Annäherung des Kanzlers an Wladimir Putin, der plötzlich die Verhältnisse verschob und vielen Beobachtern unheimlich vorkam. Den lupenreinen Demokraten im Kreml zu finden, war eben schwierig.

Auch da gibt es nun nüchternere, wenngleich beileibe nicht emotionslose Töne. Die Zusammenarbeit mit Russland soll enger werden. Aber so wie in Washington Guantanamo kein Tabuthema war, wurden in Moskau Sorgen um die Menschenrechte und die Entwicklung hin zu einer demokratischen Gesellschaft intoniert. Das führt zu einem weiteren Punkt: Zwischen den großen Polen der Politik erkennen wir neue, alte Akzente im kontinentalen Miteinander. Im (gewachsenen) Europa der 25 können die traditionellen Russlandfreunde Italien, Frankreich und Deutschland der Gemeinschaft nicht mehr die außenpolitische Marschrichtung vorschreiben. Die neuen EU-Mitglieder, gerade einmal 15 Jahre sowjetisch inspirierten Diktaturen entkommen, gehen zum großen Nachbarn im Osten auf Distanz – und Deutschland versteht das wieder.

Deutsche Außenpolitik ist nicht mehr wie zu Zeiten Bismarcks die Kunst, im Stile Rastellis fünf Bälle in der Luft zu halten. Aber das Bemühen, keinen der Partner außer Acht zu lassen, könnte ja auch schon zu einem schönen Erfolg führen.

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