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Politik: EU-Kritik wird leiser

Nur eine Minderheit der Polen gegen Verfassung

Dem Ruf Polens, ein keineswegs pflegeleichter EU-Partner zu sein, wurden die polnischen Europa-Abgeordneten bei der Abstimmung über die EU-Verfassung Mitte Januar wieder einmal gerecht: Als Einzige stimmten sie im Europaparlament mehrheitlich gegen den mühsam ausgehandelten Kompromiss. Dabei ist die Stimmung in ihrer Heimat längst gekippt. Der neuesten Eurobarometer-Umfrage zufolge sprechen sich lediglich 16 Prozent der Polen gegen das weitgehend unbekannte Vertragswerk aus: Bei denen, die über die Verfassung abstimmen wollen, liegt der Anteil der Befürworter seit Monaten stabil bei über 70 Prozent.

Es war Jan Rokita, der Premier-Anwärter der rechtsliberalen Oppositionspartei PO, der mit der Parole „Nizza oder der Tod“ im Herbst 2003 Warschau noch auf einen kompromisslosen Kurs in der Verfassungsdiskussion eingeschworen hatte: Polens unnachgiebige Haltung ließ wenig später den Verfassungsgipfel platzen. Im Juni verbuchte Polens Opposition bei der Europawahl zwar einen Erdrutschsieg. Doch auch wenn die Rechte wegen der Skandale der regierenden Sozialdemokraten weiter im Aufwind ist, kann sie mit EU-kritischen Tönen kaum noch punkten.

Die Bevölkerung ist durch die Erfahrungen seit dem Beitritt längst von den Segnungen der EU-Mitgliedschaft überzeugt. Auch wenn der geforderte Gottesbezug in der Präambel der Verfassung fehlt, das Stimmengewicht Polens weniger stark ausfällt als einst im Vertrag von Nizza vorgesehen, scheint die Mehrheit mit dem von Warschau lange bekämpften Vertragswerk längst ihren Frieden geschlossen zu haben.

Angesichts der wachsenden Europa-Zufriedenheit im Land macht sich die proeuropäische Linke nun für einen Volksentscheid in diesem Jahr stark. Anbieten würde sich ein Termin zeitgleich mit der Parlamentswahl, die im Juni oder September stattfinden soll, oder mit dem ersten Wahlgang der Präsidentenkür im November. Für eine ähnliche Lösung spricht sich auch der scheidende Staatschef Aleksander Kwasniewski aus. Sein Argument: Ansonsten drohe die für die Gültigkeit nötige Wahlbeteiligung von 50 Prozent verfehlt zu werden.

Die Opposition würde eine rasche Ansetzung der vor Jahresfrist noch heftig eingeforderten Volksbefragung in Verlegenheit bringen. Sie fürchtet unkalkulierbare Stimmenverluste bei den sicher geglaubten Wahlsiegen, wenn die Linke die anstehenden Urnengänge zu einer Abstimmung über Europa umzufunktionieren verstünde: Die Rechtsparteien spielen darum auf Zeit.

Es sei klüger, erst das Referendum der Briten abzuwarten, die die Verfassung vermutlich ohnehin zum Scheitern bringen würden, argumentiert Rokita: Eine frühzeitige Zustimmung könnte Warschaus Position bei der vermutlich nötigen Neuverhandlung des Vertragswerks unnötig schwächen. Vieles deutet indes darauf hin, dass sich die PO nach dem Wechsel auf die Regierungsbank ohnehin von der populistischen Verfassungsrhetorik verabschieden wird.

Thomas Roser[Warschau]

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