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Politik: EU-Osterweiterung: Kleiner Grenzverkehr für Russlands Exklave

Je näher die Erweiterung der Europäischen Union rückt, desto dringender wird es für die EU-Kommission, heiße Eisen anzupacken. Die russische Exklave Kaliningrad ist so ein heißes Eisen.

Je näher die Erweiterung der Europäischen Union rückt, desto dringender wird es für die EU-Kommission, heiße Eisen anzupacken. Die russische Exklave Kaliningrad ist so ein heißes Eisen. Denn das ehemalige Königsberg wird in einer erweiterten Union von EU-Mitgliedsstaaten umgeben sein. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ist Kaliningrad vom Mutterland getrennt.

Wenn die Nachbarn Polen und Litauen in einigen Jahren EU-Mitgliedstaaten werden, müssen die knapp eine Million Bürger von Kaliningrad durch die EU reisen, um nach Russland zu kommen. Dazu werden die russischen Staatsbürger neue Reisepässe und Transitvisa brauchen. Doch diese praktischen Probleme lassen sich aus Sicht der EU regeln. Komplizierter dürfte es werden, die politische Empfindlichkeiten der verschiedenen Beteiligten zu berücksichtigen.

EU-Kommissar Chris Patten hatte sich bemüht, zum Abschluss seines Moskau-Besuchs Ende letzter Woche klare Verhältnisse zu schaffen: Man habe sich darauf geeinigt, dass die EU stärker mit Kaliningrad zusammenarbeite, sagte er. Doch es sei nicht beabsichtigt, der russischen Exklave den Status einen assoziierten Mitgliedes der EU zu geben. Dennoch bereitet eben diese Frage schon jetzt den Boden für "europafeindliche und deutschlandfeindliche Gerüchte", so ein Sprecher der EU-Kommission. So schrieben der britische "Sunday Telegraph" und die "Times", Deutschland und Russland hätten bereits geheime Gespräche geführt. Verhandelt worden sein soll einerseits über die Zukunft Kaliningrads und andererseits über einen Schuldenerlass für Russland.

Das ist offenbar eine Unterstellung. Sie war jedoch sowohl dem Bundeskanzleramt in Berlin als auch Moskau ein Dementi wert: "Die Region Kaliningrad ist ein unabtrennbarer Teil der Russischen Föderation. Sie kann nicht und wird auch nicht Teil eines Handels sein", erklärte Außenamtsprecher Alexander Jakowenko gestern noch einmal. Auch er räumte jedoch Probleme ein, die sich aus der EU-Erweiterung für die Region ergeben könnten. Aus Sicht der EU-Kommission liegen die größten Schwierigkeiten darin, dass sich die Umwandlung Kaliningrads von einen reinen Militärstandort in eine Region mit zivilen Strukturen nur sehr langsam vollzieht. Noch liegt dort die russische Ostseeflotte. Noch melden Geheimdienste, dass dort taktische Nuklearwaffen stationiert sind. Die Kriminalität ist sehr hoch und strahlt in die angrenzenden Regionen aus. Umweltverschmutzung, Drogen- und Gesundheitsprobleme machen das Leben dort wenig attraktiv. Für die EU heißt dies, dass Polen und Litauen auch die Außengrenzen nach Kaliningrad mit ihren 23 Grenzübergängen durch Pass und Zollkontrollen wirksam schützen müssen. In Moskau gibt es aber Vorbehalte gegen die Einführung der Visapflicht für Russen, die nach Kaliningrad reisen wollen.

EU-Kommissar Patten schlägt deshalb vor, Konsulate einzurichten, damit Visa ohne große bürokratische Probleme und gegen eine niedrige Gebühr ausgestellt werden können. Für häufig Reisende soll es Dauervisa geben. Möglicherweise seien auf die Dauer auch Regelungen denkbar, die dem kleinen Grenzverkehr zwischen Baden-Württemberg und der Schweiz nahe kommen, erklärte gestern Pattens Sprecher Gunnar Wiegand. Die EU-Kommission hat jedoch auch ein Rückübernahmeabkommen mit Russland im Auge, um Armutsflüchtlinge zurückschicken zu können. Um die Bewohner Kaliningrads auch in Zukunft aus Russland versorgen zu können, schlägt die Kommission einen zoll- und gebührenfreien Transit russischer Güter vor.

Auch Güter, die von Kaliningrad nach Russland gebracht werden, sollen zollfrei transportiert werden können. Ein Handelsabkommen steht denn auch ganz oben auf der Tagesordnung für die Verhandlungen, die die Europäische Union mit Russland über Kaliningrad führen will. Sie sollen ab März im Rahmen Partnerschafts- und Assoziationsabkommens zwischen der EU und Russland beginnen.

Dabei wird die Idee, Kaliningrad zur Freihandelszone zu erklären, allerdings außen vor gelassen. "Kaliningrad ist nicht Hongkong. Es hat keine Kompetenz für Außenhandelsfragen", erklärt Wiegand. In den Verhandlungen solle vielmehr über die künftige Energieversorgung Kaliningrads und die Umweltprobleme der Region gesprochen werden. In Brüssel wird hier auch eine stärkere Anbindung an Westeuropa nicht ausgeschlossen. Die EU hat seit 1991 etwa 15 Millionen Euro für Verkehrs- und Infrastrukturprojekte in der Region ausgegeben . Weitere 15 Millionen Euro sind vorgemerkt. Mit ihnen sollen auch neue Grenzübergänge bezahlt werden und eine bessere Abfallbeseitigung und Gesundheitsvorsorge finanziert werden. Auch der Ausbau des Kaliningrader Hafens steht an, zumal im Rahmen der Verhandlungen zwischen EU und Russland besprochen werden soll wie der Zugang zu den Fischbeständen geregelt werden soll und welche Folgen die Erweiterung für künftige Fischereiabkommen zwischen der EU und Russland hat. Wenn bei den Verhandlungen die Notwendigkeit weiterer Unterstützung deutlich werden sollte, könne auch über weitere Hilfen gesprochen werden, so Wiegand.

Kommissar Patten sieht einen Erfolg seiner Moskau-Reise darin, dass damit ein verbindlicher Rahmen für Verhandlungen über die Zukunft Kaliningrads gesetzt ist. Klar wurde in Moskau, dass die Regierung der Russischen Föderation sich als Ansprechpartner für die EU sieht. Die Provinzregierung von Kaliningrad soll keineswegs der Ansprechpartner für EU sein. So entscheidet auch die russische Regierung darüber, ob der für den 15. Februar geplante Besuch von Patten, dem Außenpolitischen Beauftragten des EU-Ministerrates Javier Solana und der schwedischen EU-Ratspräsidentschaft in Kaliningrad zustande kommt. Die schwedische Außenministerin Anna Lindh setzt sich jedenfalls sehr für die Beziehungen zu Kaliningrad und eine weitere Beschäftigung der EU-Außenminister mit der Kaliningrad-Strategie ein. Denn bevor die Verhandlungen mit Russland und den EU-Kandidaten Polen und Litauen beginnen können, müssen die EU-Außenminister sie noch absegnen.

Mariele Schulze Berndt

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