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„EU-Recht auszusetzen wäre eine Atombombe“: Migrationsforscher warnt vor riskanten Entscheidungen bei Asylgesetzen
Die Bundesregierung müsse sich in der Asylpolitik an europäische Regeln halten, fordert Migrationsforscher Knaus. CDU-Chef Merz hatte vor dem Bund-Länder-Treffen auf einen harten Kurs gepocht.
Stand:
Migrationsforscher Gerald Knaus warnt die Bundesregierung vor unüberlegten Schritten. Vor Beginn des Migrationsgipfels an diesem Dienstag sagte er im ZDF-Morgenmagazin: „Das EU-Recht auszusetzen – das wäre eine Atombombe.“
Wenn Deutschland sich nicht mehr an die europäischen Regeln halte, stehe es letztlich ohne Partner da. Dann sei auch keine regelkonforme Rücknahme von Migranten mehr möglich, so der Österreicher.
Am Nachmittag kommen Vertreter von Bund, Ländern sowie der Unionsparteien in Berlin zusammen, um über Wege zur Eindämmung von irregulärer Migration zu beraten.
Das EU-Recht auszusetzen – das wäre eine Atombombe.
Migrationsforscher Gerald Knaus
Es sei richtig, dass etwas getan werden müsse, sagte Knaus. Doch die Lösung bestehe nicht darin, Migranten innerhalb der EU hin- und herzuschieben. Ziel müsse sein, die illegale Migration in die gesamte Europäische Union zu reduzieren.
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Knaus schlug in diesem Zusammenhang Asylverfahren in sicheren Drittstaaten vor und verwies auf das EU-Türkei-Abkommen von 2016. Dieses habe damals binnen weniger Monate zu einem drastischen Rückgang der Migrationszahlen geführt. Ohne internationale Abkommen sei es unmöglich, effektive Maßnahmen in die Wege zu leiten, betonte der Forscher. Dabei müssten die Menschenrechte der Betroffenen stets gewahrt werden. Alles andere sei „politisch extrem unklug“.
Ampel dämpft Erwartungen an Migrationsgipfel
Die Bundesregierung bemüht sich unterdessen, die Erwartungen an das Bund-Länder-Treffen zu dämpfen. „Ich würde eher dafür plädieren, jetzt erst mal abzuwarten und nicht im Vorhinein hier große Erwartungen zu formulieren“, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann in Berlin.
Jede Idee ist willkommen, die muss nur Sinn machen, die muss machbar sein, die muss rechtens sein.
Grünen-Chef Omid Nouripour
Auch Grünen-Chef Omid Nouripour warnte vor überzogenen Erwartungen. „Jede Idee ist willkommen, die muss nur Sinn machen, die muss machbar sein, die muss rechtens sein“, sagte er am Dienstag im ZDF-„Morgenmagazin“.
Bei der CDU-Spitze um Parteichef Friedrich Merz und Generalsekretär Carsten Linnemann stelle er sich derzeit die Frage, ob diese keine andere Aufgabe bei sich sehe, als immer neue Vorschläge einzuwerfen. Es wirke bei der CDU so, dass diese derzeit „alle vier Stunden eine neue Idee würfelt“.
CDU-Chef Merz pocht auf harten Kurs
Das Treffen soll im Bundesinnenministerium stattfinden, nach Angaben aus der Unionsfraktion um 15 Uhr. Für die Bundesregierung soll als Gastgeberin Innenministerin Nancy Faeser (SPD) teilnehmen, außerdem Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und die Staatssekretärin aus dem Bundeswirtschaftsministerium, Anja Hajduk (Grüne). Die Union will die Innenexperten Thorsten Frei (CDU) und Andrea Lindholz (CSU) zu den Gesprächen entsenden.

© IMAGO/dts Nachrichtenagentur
CDU-Chef Friedrich Merz gehört zwar nicht zum Teilnehmerkreis, bekräftigte am Vortag aber Forderungen nach einer deutlichen Verringerung der Migration nach Deutschland.
Nicht das Waffenrecht und Abschiebungen seien das eigentliche Problem, sagte der Unionsfraktionschef am Montagabend in Osnabrück. „Das eigentliche Problem ist der nach wie vor ungesteuerte Zuwanderungsdruck“, so Merz. „Wenn es morgen zu keiner Einigung kommt, dann brauchen wir nicht weitere Gespräche zu führen.“
Zuvor hatte Merz bereits erklärt, seine Partei gehe „mit relativ wenig Zuversicht“ in das Gespräch. Seine Partei fordere die Zurückweisung von Migranten bereits an der deutschen Grenze – und werde von dieser Forderung „keinen Millimeter“ abrücken, sagte der CDU-Chef. Die Pläne der „Ampel“ für ein schärferes Waffenrecht und schnellere Abschiebungen seien der Union nicht genug.
„Sicherheitspaket“ nach Messeranschlag von Solingen
Nach dem mutmaßlich islamistischen Messeranschlag von Solingen hatte die Bundesregierung ein „Sicherheitspaket“ mit geplanten Maßnahmen vorgestellt und Gespräche zwischen Bund und Ländern zum Thema angekündigt.
Das Paket solle auch „wesentliche Grundlage“ für das Treffen am Dienstag sein, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums. Es handle sich um ein vertrauliches Arbeitsgespräch, eine anschließende Unterrichtung der Presse sei nicht vorgesehen.
Das Maßnahmenpaket sieht unter anderem Verschärfungen bei der Rückführung abgelehnter Asylbewerber in ihre Herkunftsländer vor, Schritte zur härteren Bekämpfung des islamistischen Terrors und Verschärfungen beim Waffenrecht. Vorgesehen ist dabei etwa, dass Schutzsuchende, für die ein anderes europäisches Land zuständig ist, in Deutschland keine Leistungen mehr erhalten – wenn dieses Land für eine Rücknahme bereit ist.
Das Treffen am Dienstag geht auf eine Initiative des CDU-Chefs zurück. Er hatte nach dem Messerattentat von Solingen die Unterstützung seiner Fraktion im Bundestag für eine rasche Verschärfung von Asylregeln angeboten. Insbesondere der SPD bot er an, die gemeinsame Mehrheit im Bundestag jenseits der anderen Ampel-Koalitionspartner für solche Verschärfungen zu nutzen. Die SPD will hier jedoch nicht ohne Grüne und FDP vorgehen.
Kommunen pochen offenbar auf schärfere Gangart in der Migrationspolitik
Unterdessen fordert der deutsche Landkreistag einem Bericht zufolge deutlich härtere Maßnahmen als bisher geplant. Es fehle bislang ein „Gesamtkonzept für eine grundsätzlich andere Migrationspolitik“, heißt es nach Angaben des „Spiegel“ in einem Positionspapier des kommunalen Spitzenverbands.
Kein Staat sei gezwungen, „Flüchtlinge in einem Umfang aufzunehmen, der mit akuten Gefahren für das Funktionieren seiner Institutionen verbunden ist“, heißt es darin weiter. Indizien für eine Überlastung könnten eine überforderte Verwaltung sowie fehlende Kapazitäten für Unterbringung oder Integration sein. Hier seien die Grenzen „in vielerlei Hinsicht erreicht oder schon überschritten“.
Flüchtlingen, für deren Asylverfahren ein anderes EU-Land zuständig sei, soll laut dem Papier der Weg nach Deutschland verwehrt bleiben, indem „eine Zurückweisung an den deutschen Grenzen“ erfolgt. Sollte dies europarechtlich nicht möglich sein, müssten die entsprechenden Regelungen angepasst werden.
Dem Bericht zufolge fordert der Landkreistag zudem unter anderem, dass „Asylanträge von Personen, deren Identität nicht durch Ausweisdokumente oder vergleichbare Unterlagen gesichert festgestellt werden kann, bereits als unzulässig abgelehnt werden können“.
Zudem solle das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) auf Verbesserungen der Sicherheitslage in Herkunftsländern reagieren und bereits erteilte Anerkennungen widerrufen. Abschiebungen nach Syrien sollten „nicht nur bei Gefährdern und Straftätern, sondern generell erfolgen“, hieß es in dem Papier weiter. Die Bundesländer sollten demnach deutlich mehr Plätze für Abschiebehaft und -gewahrsam schaffen.
SPD will keine Änderung des Grundgesetzes
SPD-Chefin Saskia Esken wies am Montag alle Verschärfungen des Asylrechts zurück, für die eine Änderung des Grundgesetzes nötig wäre. Unionsvorschläge etwa zu einer Abkehr vom individuellen Asylrecht seien „mit unserer Verfassung nicht vereinbar“, sagte Esken. „Wir werden die Verfassung nicht anfassen.“ Auch werde sich Deutschland weiter an seine europarechtlichen Verpflichtungen in der Asylpolitik halten.
CDU-Chef Merz hatte vergangene Woche die Ausrufung eines „nationalen Notstands“ ins Gespräch gebracht, um EU-rechtliche Vorgaben außer Kraft zu setzen. Dies würde die Zurückweisung von Migranten an den Grenzen erleichtern. Am Montag wiederholte Merz seine Forderung. „Die Ordnung unseres Landes ist gefährdet“, sagte er. „Wir müssen das Recht haben zum Zurückweisen.“
Grünen-Chefin Ricarda Lang mahnte am Montag beim Thema Migration zur Differenzierung. Es müsse unterschieden werden, „zwischen den islamistischen Gewalttätern, die ihren Schutzanspruch verloren haben“ und „den Schutzsuchenden, die sich in die Gesellschaft integrieren und Teil von ihr werden“, sagte sie in Berlin. (dpa, AFP, KNA)
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