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Politik: EU-Reform: Suche nach dem neuen Gleichgewicht - Paris übernimmt Samstag die EU-Präsidentschaft

"Wenn wir die EU-Reform nicht schaffen, hat alles weitere keinen Sinn." Mit diesen Worten beschreibt Außenminister Hubert Védrine die enorme Last, die in den nächsten sechs Monaten auf Frankreich liegt.

"Wenn wir die EU-Reform nicht schaffen, hat alles weitere keinen Sinn." Mit diesen Worten beschreibt Außenminister Hubert Védrine die enorme Last, die in den nächsten sechs Monaten auf Frankreich liegt. Während der französischen EU-Ratspräsidentschaft, die am kommenden Samstag beginnt, entscheidet sich die Zukunft Europas. Entweder gelingt es den 15 EU-Staaten, die schwerfälligen Brüsseler Institutionen für die geplante Erweiterung auf bis zu 30 Mitglieder fit zu machen. Oder aber es droht eine "ernste Krise", die nach Védrines Einschätzung nur noch "mit außergewöhnlichen Mitteln" zu lösen wäre.

Grund zur Panik besteht aus französischer Sicht jedoch nicht. Zwar zeichnet sich bei der Regierungskonferenz zur EU-Reform noch kein Konsens ab. Vier Themen stehen auf dem Programm: Die Neuverteilung der Stimmgewichte zwischen den EU-Ländern, die Ausdehnung der Mehrheitsbeschlüsse, die Straffung der EU-Kommission und die "verstärkte Zusammenarbeit" für besonders ehrgeizige EU-Staaten. Vor allem die Neutarierung der Gewichte zwischen dem größten EU-Staat Deutschland, großen Ländern wie Frankreich oder Großbritannien und kleinen wie Luxemburg birgt gefährlichen Zündstoff.

In Paris geht man aber davon aus, dass die Probleme zu lösen sind. Denn zum einen läuft der "deutsch-französische Motor für Europa" nach dem Staatsbesuch von Präsident Jacques Chirac in Berlin auf Hochtouren. Beide Regierungen "sind sich einig, dass man sich einig werden wird", heißt die magische Formel der Diplomaten. Zum anderen haben Deutsche und Franzosen einen versteckten Trumpf in der Hinterhand. Wer immer geneigt sein sollte, die EU-Reform zu torpedieren, muß damit rechnen, dass sich Europa jenseits der gültigen Verträge weiterentwickelt, heißt die kaum verhüllte Drohung aus Berlin und Paris.

Zum Schwur dürfte es auf dem EU-Gipfel in Nizza vom 7. bis 9. Dezember kommen. Zwar erwarten Beobachter schon von dem informellen Ratstreffen in Biarritz am 13. und 14. Oktober erste Ergebnisse der Reformdebatte. Ein Durchbruch wird aber erst im Dezember erwartet. Nach ein oder zwei langen Nächten soll dann der "Vertrag von Nizza" stehen, der die EU-Institutionen entschlackt und auf die ab 2003 geplante Erweiterung vorbereitet. Außerdem will die französische Präsidentschaft in Nizza maßgeschneiderte Szenarien für alle EU-Beitrittskandidaten vorlegen.

EU-Reform und -Erweiterung sind jedoch nicht die einzigen Themen der nächsten sechs Monate. Auf dem Programm der französischen EU-Ratspräsidentschaft stehen auch heiße Eisen der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Sie reichen von der Schaffung eines "sozialen Europa" über die Einsetzung eines "Monsieur Euro" bis hin zur Verteidigung des Öffentlichen Dienstes gegen eine allzu weitgehende Liberalisierung. Paris setzt sich außerdem für eine europaweite Harmonisierung der Börsenaufsicht und für eine EU-Direktive zum Kampf gegen die Geldwäsche ein.

Am weitesten fortgeschritten sind die Vorarbeiten für ein soziales Europa. Bereits am Mittwoch legte die EU-Kommission einen eigenen Entwurf für eine "Sozialagenda" vor, die die nächsten fünf Jahre bis 2005 abdeckt. Paris dürfte indes versuchen, über den Kommissionsentwurf hinauszugehen. Im Gespräch sind quantifizierbare Ziele im Kampf gegen Armut, Obdachlosigkeit und Diskriminierung. Arbeitsministerin Martine Aubry hat ihre Kollegen am 7. und 8. Juli nach Paris geladen, um über diese Ziele zu reden und eine "eigenständige" europäische Sozialpolitik zu formulieren.

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