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Euro-Rettung: Die Enteignung des Bundestags

Die Europäische Zentralbank kauft Staatsanleihen aus Italien und Spanien. Demokratisch legitimiert ist dieses Vorgehen nicht. Nun sollte man sich auf die eigentlich Aufgaben der EZB konzentrieren.

Es ist schon problematisch genug, dass die Abgeordneten des Deutschen Bundestags Entscheidungen zu treffen haben, deren Folgen weder sie selbst noch ihre unmittelbaren Wähler in letzter Konsequenz erleben werden. Um den Euro zu retten, wollen die Euro-Länder einen neuen Hilfsfonds mit einer Kapitalbasis von 700 Milliarden Euro bereitstellen, davon sollen 190 Milliarden Euro aus Deutschland kommen. So werden künftige Generationen, die bereits an der langjährigen Schuldenpolitik ihrer Eltern und Großeltern zu tragen haben, einem neuen, enormen Risiko ausgesetzt, das letztlich niemand abschätzen kann. Aber so ist Demokratie – es muss jetzt entschieden werden, was billiger ist: die Rettung des Euro oder die Abkehr von ihm.

Viel schlimmer als die unabsehbaren Folgen einer solchen Entscheidung ist es aber für ein Parlament, an ihr gar nicht beteiligt zu werden. Genau das passiert gerade. Ermutigt durch eine Erklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Präsident Nicolas Sarkozy kauft die Europäische Zentralbank Staatsanleihen aus Italien und Spanien auf den Finanzmärkten. Die unmittelbaren Folgen sind positiv: Der ganz große Crash ist vorerst ausgeblieben, und die Zinsen für Anleihen der beiden Länder sind gesunken.

Aber die EZB nimmt auf diese Weise (zum wiederholten Male) Risiken in ihre Bücher, ohne dass sie dafür demokratisch legitimiert wäre. Letztlich greift sie in die Haushaltspolitik der Eurostaaten ein, denn falls bei ihr Verluste entstehen, haftet der Steuerzahler. Es gibt auch, anders als beim geplanten neuen Hilfsfonds, keine Obergrenze. Die Aufgabe der EZB ist aber eigentlich eine andere: Unabhängig von der Politik (!) soll sie auf stabile Preise hinwirken. Dafür hat sie die Instrumente der Geldpolitik und legt zum Beispiel die Leitzinsen fest. Fiskalpolitik, also Einfluss auf die Staatsausgaben, soll ihre Sache ausdrücklich nicht sein.

Peter Müller, der heute seinen letzten Arbeitstag als saarländischer Ministerpräsident hat und die Politik verlassen will, sagte vor wenigen Tagen, die Verschleißprozesse von Regierungen beschleunigten sich in allen Demokratien. Ein Grund dafür sei, „dass es keinen Wettbewerb der Systeme mehr gibt wie im Kalten Krieg“. Doch da liegt er falsch: Die Diagnose des Verschleißes mag zutreffen, aber einen Wettbewerb der Systeme gibt es heute noch, vielleicht mehr denn je.

Das Gezerre um den Euro ebenso wie der Streit um die Schuldengrenze in den USA, der Präsident Barack Obama und die gesamte politische Elite des Landes beschädigt hat, zeigen schlaglichtartig, wie die demokratischen Abläufe den Wirkungsweisen der Märkte kaum gewachsen sind. Dagegen tut sich China leicht, ohne Demokratie, als totalitäre Marktwirtschaft. Die westliche Welt hat Marktwirtschaft und Demokratie stets als Einheit gesehen; jetzt, im Wettbewerb der Systeme, zeigt sich, dass das eine ohne das andere geht. Wenn die Demokratie ihre Überlegenheit beweisen soll, dann darf sie nicht ausgehebelt werden, nur weil sie mühsam ist. Eine 19-zeilige Erklärung von Kanzleramt und Élysée reichen als Legitimation nicht aus, um den Steuerzahler unüberschaubaren Risiken auszusetzen. Stattdessen müssen die demokratischen Entscheidungsabläufe verbessert, beschleunigt werden. Der Diskurs muss besser funktionieren, aber das bedeutet gerade nicht, ihn abzuschaffen.

Konkret sollte der Deutsche Bundestag nicht erst im September und am besten noch in der Sommerpause entscheiden, ob er den 700-Milliarden-Fonds billigt. Spätestens dann kann die EZB sich wieder auf ihre eigentlichen Aufgaben beschränken. Denn die Strukturen und Entscheidungen auf europäischer Ebene haben schon Legitimationsprobleme genug. Hans Magnus Enzensberger hat gerade in einem Essay „die politische Enteignung“ der Europäer gegeißelt (und nebenbei auch den Ankauf von Staatsanleihen überschuldeter Staaten durch die EZB). Seine Beschreibung vom Übergang in ein „postdemokratisches Zeitalter“ lässt sich nur als Warnung verstehen. Noch ist es nicht zu spät, noch kann sich die Demokratie reformieren – und das vermutlich besser als jedes andere System.

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