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Politik: Europa und das neue Jugoslawien: Moskaus ganz spezieller Glückwunsch - Wie es Russland schaffte die westliche Position zu beziehen

Im letzten Moment sprang Moskau auf den abfahrenden Zug auf. Außenminister Igor Iwanow gratulierte Vojislav Kostunica am Freitag zu dessen Sieg bei den Wahlen und überreichte eine persönliche Botschaft von Wladimir Putin.

Im letzten Moment sprang Moskau auf den abfahrenden Zug auf. Außenminister Igor Iwanow gratulierte Vojislav Kostunica am Freitag zu dessen Sieg bei den Wahlen und überreichte eine persönliche Botschaft von Wladimir Putin. Der drückte es zwar nicht ganz so herzlich aus, sondern etwas bedrohlich, doch es sollte schon im Sinne der westlichen Position gemeint sein: Kostunica habe die Verantwortung für die Zukunft Jugoslawiens übernommen.

Die Kehrtwende des Kremls bezeichneten russische Medien in ersten Reaktionen als Sensation. In der Tat hatte es noch bis zum gestrigen Mittag so ausgesehen, als können nicht einmal nackte Tatsachen, wie sie die jugoslawische Opposition am Donnerstag schuf, Moskau dazu veranlassen, längst überfällige Schlussfolgerungen zu ziehen. Kreml, Außenamt und Parlament taten sich extrem schwer mit dem Ende der Ära Milosevic. Um so wichtiger war es aus westlicher Sicht, dass beispielsweise Bundeskanzler Schröder ausführlich und intensiv mit Putin telefonierte.

Zuvor hatte es noch anders ausgesehen. Russische Wahlen, so Reformer Grigorij Jawlinski schon am Donnerstagabend im Staatsfernsehen zum Entsetzen des Moderators, hätten gezeigt, dass, wenn offizielle Stellen oppositionellen Kandidaten 48 Prozent bescheinigen, für diesen die absolute Mehrheit gestimmt habe. Jawlinski hatte Putin daher aufgefordert, sich "der Meinung anzuschließen, die die Mehrheit des serbischen Volkes vertritt" und dazu eine "klare, unmissverständliche Erklärung" abzugeben.

Asylland Weißrussland?

Vergeblich. Noch gäbe es "Zeit und Möglichkeiten für Konsultationen zwischen den Konfliktparteien", bei denen Russland vermitteln könne, ließ sich zunächst Regierungschef Michail Kasjanow vernehmen, als er Meldungen, wonach Milosevic Russland um Aufnahme gebeten habe, dementierte. Demokratische Veränderungen ja, Kostunica nein. Das war auch die Quintessenz von Putins Reaktion auf die Ereignisse in Belgrad gestern Vormittag. Der Kremlherrscher wiederholte nur, was vorgestern schon in seinem Brief an Dumachef Gennadij Selesnjow stand: Der neue Präsident müsse demokratisch gewählt werden und sich auf überzeugende Mehrheiten stützen. Russland werde daher alles tun, um dem jugoslawischen Volk zu helfen, eine Ausweg aus der gegenwärtigen Krise zu finden. Details soll offenbar Außenminister Iwanow regeln.

Ihn hatte Putin am Morgen nach Belgrad entsandt. Als Vermittler zwischen den Konfliktparteien, wie es bis zur Amtseinführung von Kostunica hieß. Nun dürfte Iwanow, der am Nachmittag in Belgrad mit Slobodan Milosevic zusammentraf, nur noch Varianten für dessen künftigen Aufenthaltsort diskutieren. Als mögliches Asylland wird in Moskau das totalitäre Weißrussland genannt. Dessen Präsident, Alexander Lukaschenko, dementiert jedoch bereits vehement.

Völlig überrollt von der Dynamik der Ereignisse in Belgrad zeigte sich Russlands Parlament. Dort konnte man sich nicht einmal zu einer gemeinsamen Resolution durchringen. Diskutiert wurden nur Entwürfe: Während Wortführer der Demokraten ein Glückwunschtelegramm an Kostunica forderten, sagte KP-Chef Gennadij Sjuganow, die Demokratie in Belgrad rieche nach Marihuana und Dollar, und von ihrem Sieg könne die Rede daher nicht sein. Sjuganows Parteigenosse und Dumapräsident Selesnjow setzte noch eins drauf: Kostunica habe sich "faktisch durch einen Staatsstreich" zum Präsidenten erklärt. Die Ereignisse würden an den Putsch des Notstandskomitees in Moskau im August 1991 erinnern. Daher einigte sich das Hohe Haus lediglich auf eine Anhörung von Außenminister Iwanow. Bis zu dessen Rückkehr werde es keine Erklärungen geben.

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