zum Hauptinhalt

Politik: „Europa verdient einen Vertrauensvorschuss“ US-Senator John McCain über den Bush-Besuch, Deutschlands Hilfe im Irak und das Leben auf dem Mars

Senator McCain, wie würden Sie den Stand der deutschamerikanischen Beziehungen vor dem Besuch von Präsident Bush am Mittwoch in Mainz bewerten? Ich sehe viele positive Veränderungen.

Senator McCain, wie würden Sie den Stand der deutschamerikanischen Beziehungen vor dem Besuch von Präsident Bush am Mittwoch in Mainz bewerten?

Ich sehe viele positive Veränderungen. Die Europareise von Condoleezza Rice war ein Erfolg. Es bleiben gewichtige Meinungsverschiedenheiten, zum Beispiel über den Irak, aber selbst da nimmt die Kooperation zu. Wir wissen, dass Deutschland keine Soldaten schicken wird, aber es kann sehr viel helfen: mit Computern und vor allem mit Rat beim Wiederaufbau von Regierung und Verwaltung. Die neue irakische Führung hat keine Erfahrung damit, Deutschland dagegen sehr viel. Die Ausbildung von Polizei, auch außerhalb Iraks, ist eine große Hilfe. Wären die Deutschen nicht stolz, sagen zu können: Wir haben das erste demokratisch legitimierte Innenministerium im Irak aufgebaut?

Das klingt sehr optimistisch.

Beide Seiten sind den Streit müde. Wir sind durch so viele Krisen gemeinsam gegangen. Jetzt müssen wir die neuen Fakten akzeptieren: George Bush bleibt weitere vier Jahre Präsident, der Verlauf der Wahl im Irak hat die Erwartungen der meisten weit übertroffen, und wir sehen wieder, wie viele gemeinsame Interessen und Erfolge wir haben, zum Beispiel in der Ukraine. Die EU hat dort eine herausragende Rolle bei der Durchsetzung fairer und freier Wahlen gespielt. Nichts ist erfolgreicher als gemeinsamer Erfolg. Wie gesagt, es bleiben Themen, wo wir unterschiedlicher Meinung sind. Wir sind unglücklich über die Aufhebung des Waffenembargos gegen China.

Bei der Sicherheitstagung in München sagten viele: miteinander reden ist gut, gemeinsam handeln besser. Was soll die konkrete Agenda für Bush und Schröder sein?

Erstens, der Nahostfriedensprozess; dort gibt es einen unglaublichen Fortschritt seit der Wahl Mahmud Abbas’ zum Präsidenten, ich würde sagen: die größte Veränderung seit der Gründung des Staates Israel. Zweitens, Aufbauhilfe für den Irak. Drittens, eine gemeinsame Strategie gegen das Atomprogramm Irans. Viertens, der Genozid in Darfur, Sudan. Wie oft haben wir uns geschworen: Nie wieder! Und jetzt lassen wir es doch wieder vor unseren Augen geschehen. Fünftens, mehr Aufmerksamkeit für Kosovo, die Entwicklung ist beunruhigend. Aber ich möchte etwas Generelles unterstreichen: Wenn Freunde im Streit liegen, dann wird jedes Thema schwierig, weil die Spannungen und der Ärger es belasten.

Gilt das auch für die Reform des UN-Sicherheitsrats, inklusive der Frage eines deutschen Sitzes?

Darüber habe ich bisher nicht viel gehört, ganz ehrlich. Der deutsche Sitz ist ein Unterpunkt der Debatte, ob es eine Ausweitung des Sicherheitsrats gibt. Bisher gibt es da keinen Konsens bis auf den, dass das Thema diskutiert werden muss.

Was halten Sie vom Vorschlag des Bundeskanzlers, den politischen Dialog in der Nordatlantischen Allianz zu reformieren?

Wir warten auf eine Klarstellung, was das Ziel seiner Rede zur Nato ist. Ich habe sehr bedauert, dass der Kanzler krank war und die offenen Fragen nicht selbst beantworten konnte. Was also meint er? Die Allianz hat sich noch nicht so ganz auf die Ära nach dem Kalten Krieg eingestellt, da kann ich zustimmen. Wenn er auf eine stärkere Abkoppelung Europas von den USA zielt, dann würde ich widersprechen.

Wie viel Zeit geben Sie den EU-Vermittlern, Iran von seinem Atomprogramm abzubringen?

Das hängt davon ab, wie nahe Iran an der Bombe ist. Ich habe keinen so direkten Einblick in das Geheimdienstmaterial wie die Führungen in Europa und Amerika. Ich setze auf eine gemeinsame Strategie mit Europa, das ist die erste Priorität. Bei Misserfolg sind UN-Sanktionen die nächste. Vergessen wir nicht, dass Irans Regime tausendfach erklärt hat, es wolle Israel vernichten. Wir könnten zu einem Punkt gelangen, wo Israel sich so bedroht fühlt, dass es handelt.

Andere Staaten sind auch illegal zu Atommächten geworden.

Wir können es aushalten, dass Indien und Pakistan Atomwaffen haben. Ich mag den Gedanken nicht, ich wäre froh, wenn es nicht so wäre. Aber Indien ist zumindest eine Demokratie. Und Pakistan wird sich hoffentlich auf diesen Weg begeben. Iran dagegen hat das erklärte Ziel, Israel zu zerstören. Sie sagen es jeden Tag und nennen Amerika das Reich des Bösen. Wir haben es also mit einer ganz anderen Art von Bedrohung durch das Streben nach Massenvernichtungswaffen zu tun. Nochmal: Ich bin dagegen, dass Pakistan und Indien Atomwaffen haben. Aber sie stellen keine so unmittelbare Gefahr dar, wie sie von Iran womöglich – ich unterstreiche: womöglich – ausgeht. Wenn Israel sich von Iran bedroht fühlen muss, destabilisiert das den ganzen Nahen Osten. Dann tut Israel, was für sein Überleben nötig ist.

Hat sich der Ton in Amerikas Außenpolitik verändert?

Es gibt niemanden in der Welt, den ich mehr schätze und bewundere als Colin Powell. Was ich sage, ist also keine Kritik an ihm. Condoleezza Rice hat ein engeres persönliches Verhältnis zum Präsidenten, deshalb klingt die Darstellung der Außenpolitik jetzt einheitlicher als vorher. Und die Entscheidungsprozesse werden dadurch schneller und effektiver. Sie wissen ja (er lacht ironisch), wie sehr diese Regierung es bisher darauf anlegte, mit einer Stimme zu sprechen.

Da sind wir wieder beim Irak. Warum sollen die Gegner des Krieges Amerika helfen, eine verfahrene Situation zu bereinigen?

Die Wahl hat bewiesen, wie viel den Irakern daran liegt, ihre Führung demokratisch zu wählen. Sie haben dafür sogar ihr Leben riskiert. Jetzt brauchen sie Hilfe beim Aufbau eines demokratischen Staates. Denn dafür sind sie ungefähr so gut vorbereitet wie ich auf ein Leben auf dem Mars.

Eine hübsche Formulierung. Wo ist eigentlich die Siegesgewissheit der Neokonservativen geblieben?

Das hatten wir mindestens einmal zu viel: Der Präsident fliegt auf dem Flugzeugträger ein – „mission accomplished“, Auftrag erfüllt. Wir sind jetzt sehr vorsichtig geworden. Man muss nur das Fernsehen anstellen: Bombenanschläge, 20 Iraker getötet, zwei Marines unter den Opfern … Der Widerstand ist hart und gut organisiert. Wir haben das anfangs schrecklich unterschätzt und einen fürchterlichen Preis dafür bezahlt, mit amerikanischem Blut. Es wäre schön, wenn wir wenigstens jetzt Recht behalten: Das neue Parlament als Neuanfang, bald können die Bürger unbesorgt auf die Straße gehen, und vielleicht kann man irgendwann ohne Angst vom Flughafen zur „green zone“ fahren …

… dem Sitz der USA und der internationalen Organisationen in Bagdad.

Die Neokonservativen wissen genau, dass Irak nicht so verlaufen ist, wie sie angekündigt haben. Das ist eine harte Erfahrung für das Volk, erst recht in den ländlichen Gemeinden, wenn Särge heimkehren. Darüber sprechen dort alle, das ist tagelang in den Schlagzeilen.

Sie haben bei der Sicherheitskonferenz in München vor einer Woche einen harten Ton gegen Russland angeschlagen. Auf die Ukraine soll ein Regimewechsel in Weißrussland folgen?

Bitte nicht noch mal das Missverständnis, dass manche mit Präsident Bushs Inaugurationsrede hatten. Wenn wir Demokratie und Freiheit sagen, heißt das nicht, dass wir gleich Fallschirmjäger oder Panzer schicken. Die Menschen in Weißrussland werden unterdrückt, das bezweifelt niemand. Wir senden keine Truppen, sondern hoffen, dass die beiden großartigen Beispiele Georgien und Ukraine Schule machen: demnächst bei den Wahlen in Moldawien.

Was müsste Amerika tun, damit sich die transatlantischen Beziehungen fundamental verbessern: zum Beispiel beim Bush-Besuch dem Internationalen Strafgerichtshof, dem ICC, beitreten?

Das reicht nicht, dafür müsste viel mehr passieren: ICC, Unterschrift unter das Kyoto-Klimaprotokoll, eine signifikante Besserung im Irak. Aber eines stimmt: Wenn wir ein Klima der Kooperation schaffen, wird alles leichter. Wie in der Ukraine. Also sage ich den Amerikanern: Lasst uns Europa einen Vertrauensvorschuss geben. In vielen Gegenden haben sie die Führung bei der Konfliktlösung übernommen. Frankreich in Elfenbeinküste, die Briten in Sierra Leone. Im Kalten Krieg, als jeden Tag ein Angriff auf uns alle drohen konnte, hatte unser Bündnis einen anderen Charakter. Aber wir bleiben eine Wertegemeinschaft mit fundamentalen gemeinsamen Interessen. Deshalb sind wir gemeinsam als Nato gegen die ethnischen Säuberungen auf dem Balkan eingeschritten, nicht weil die Albaner so schrecklich wichtig für uns wären. Ich war mein ganzes Leben Atlantiker. Gemeinsam können Amerika und Europa die Welt verändern, daran glaube ich fest.

Mit John McCain sprachen Christoph von Marschall für den Tagesspiegel sowie einige Vertreter weiterer Medien. Das Foto machte Sylvain Gaboury/AP

DER MILITÄR

John McCain wurde 1936 als Sohn eines Marineoffiziers im Militärkrankenhaus der Panamakanalzone geboren. Er nahm später als Marineflieger am Vietnamkrieg teil, wurde 1967 abgeschossen, schwer verwundet und verbrachte fünfeinhalb Jahre in Gefangenschaft des Vietkong. Zwei Selbstmordversuche in dieser Zeit schlugen fehl. Die Leiden dieser Jahre beschrieb er später in seinem Buch „Faith of My Fathers – A Family Memoirs“. Erst 1973 kehrte er mit dauerhaften Körperbehinderungen heim.

DER ABGEORDNETE

1980 bis 1987 saß McCain als Abgeordneter Arizonas im US-Repräsentantenhaus, seit 1987 im Senat. Er gilt als integer, unabhängig und prinzipientreu. Er trat für normale Beziehungen zu Vietnam ein, für die Verschärfung der Wahlkampfspendenregeln und forderte 500 Milliarden Dollar von der Tabakindustrie für die Gesundheitsschäden, die durchs Rauchen entstanden sind. Die Initiative fand aber keine Mehrheit im Senat.

DER KANDIDAT

Bei der Bewerbung um die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner 1999 und 2000 sorgte er für einen Paukenschlag. Bei den Primaries in New Hampshire schlug er George W. Bush mit 9 zu 31 Prozent. Am Ende unterlag er ihm knapp. Viele erwarten, dass McCain 2008 nochmals antritt.

DER KINDERREICHE

John McCain hat sieben Kinder, vier aus seiner ersten Ehe mit Carol Sheep, davon zwei adoptiert, drei aus seiner zweiten Ehe mit Cindy Lou Hensley.

DER AUSGEZEICHNETE

McCain hat zahlreiche Medaillen erhalten: Legion of Merit, Purple Heart, Vietnamese Legion of Honor.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false