zum Hauptinhalt
Der Friedhof von Vukovar.

© REUTERS

Ex-Jugoslawien: Geister der Vergangenheit

Kroaten und Serben haben sich vor Jahren gegenseitig wegen Völkermords verklagt. Am Montag begannen die Prozesse, doch eigentlich will die nun niemand mehr. Denn die beiden Nachbarstaaten sind dabei, sich anzunähern.

Am Montag haben vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag die Prozesse zu den wechselseitigen Genozid-Klagen von Kroatien und Serbien begonnen. Diese sollten eigentlich gar nicht stattfinden, denn in den vergangenen Jahren waren die Nachbarstaaten bemüht gewesen, ihr Verhältnis zu verbessern – insbesondere im Zuge des EU-Beitritts von Kroatien. Beide Parteien wollten die Klagen daher auch fallen lassen. Offiziell heißt es nun, dies sei gescheitert, weil man sich in der Frage der „vermissten Personen“ nicht einigen konnte. Kroatien spricht von 884 Vermissten, Serbien von 1904. Serbien verweigerte allerdings Auskünfte aus den Archiven der ehemaligen Jugoslawischen Volksarmee. Außerdem besteht Kroatien darauf, dass Serbien das Regime von Slobodan Miloševic als Aggressor anerkennt, was Belgrad nicht akzeptiert. Und auch die Rückgabe von Kunstschätzen kam bislang nicht zustande.

Dass die Prozesse nun doch stattfinden, stellt einen Rückschritt in den Beziehungen zwischen den Nachbarn dar – und sie könnten verbale Munition für nationalistische Kräfte auf beiden Seiten liefern. Noch im vergangenen Sommer hatte sich der kroatische Präsident Ivo Josipovic zuversichtlich gezeigt, dass es nicht zu den Prozessen kommen wird. Ein Schuldspruch ist ohnehin höchst unwahrscheinlich. Internationale Gerichte haben im Rahmen der Kriege in Ex-Jugoslawien bisher ausschließlich den Völkermord an den bosnischen Muslimen (Bosniaken) in Srebrenica im Juli 1995 anerkannt. Dieser Völkermord wurde von bosnisch-serbischen Kräften verübt.

Kroatien hatte Serbien bereits 1999 wegen Genozids verklagt, zu einem Zeitpunkt, als noch sehr nationalistische Kräfte in Zagreb an der Macht waren. Serbien brachte 2010 eine Gegenklage ein. Falls der Internationale Gerichtshof in beiden Fällen keinen Völkermord für gegeben erachtet, könnte dies aber auch zu einer Beruhigung des bilateralen Verhältnisses führen, weil es zu einer Klärung der Fragen der Vergangenheit kommt.

Zunächst ist nun Kroatien an der Reihe, Beweise vorzulegen. Zagreb gibt an, dass Einheiten, die von Belgrad kommandiert wurden, mehr als 10 000 Kroaten im Rahmen einer geplanten ethnischen Säuberung töteten. Insbesondere der Angriff auf Vukovar und die Kriegsverbrechen, die dort begangen wurden, sind in Kroatien nach wie vor Thema der Tagespolitik. Justizminister Orsat Miljenic zeigte sich sicher, dass Kroatien gewinnen werde, schließlich sei klar, wer hier Opfer und wer Aggressor gewesen sei. Neben Vukovar geht es in der Klage auch um Ost- und West-Slawonien, Banovina, Kordun, Lika und Dalmatien.

Das serbische Rechtsteam, für das auch der deutsche Jurist Andreas Zimmermann arbeitet, will wiederum beweisen, dass die „Operation Sturm“ der Höhepunkt eines „kriminellen Versuchs“ gewesen sei, die Serben permanent aus Kroatien zu vertreiben. Bei der „Operation Sturm“ ging es um die Rückeroberung der kroatischen Krajina, die 1991 von serbischen Paramilitärs besetzt worden war. 200 000 Serben waren damals aus der Krajina vertrieben worden oder sie flüchteten, hunderte serbische Zivilisten wurden getötet.

Die „Operation Sturm“ und der Angriff auf Vukovar hatten bereits in den vergangenen Monaten zu heftigen Debatten in den Nachbarstaaten geführt. Im November 2012 war der kroatische Ex-General Ante Gotovina, der die Operation geleitet hatte, vom Jugoslawien-Tribunal freigesprochen worden. In Serbien löste dies massive Proteste aus, weil mit dem Freispruch die politische und juristische Verantwortung für die Vertreibung der Serben aus der Krajina ungeklärt bleibt.

In der serbischen Minderheit in Kroatien schürte aber nicht nur das Urteil neue Ängste. Auch die wiederholte Demontage der kyrillischen Amtstafeln in der kroatischen Stadt Vukovar für die serbische Minderheit führte zu Spannungen. In Vukovar demonstrierten zudem nationalistische Kroaten in den vergangenen Monaten gegen Minderheitenrechte für die Serben.

In Kroatien wiederum wird es als höchst problematisch erachtet, dass ein serbisches Berufungsgericht erst im Januar die Urteile gegen ehemalige Mitglieder der Jugoslawischen Volksarmee wegen Verbrechen gegen Kroaten in dem Ort Lovas in Kroatien im Jahr 1991 aufgehoben hat.

Die kroatische Außenministerin Vesna Pusic und der serbische Vizepremier Aleksandar Vucic betonten allerdings gerade erst, dass die Völkermordprozesse keine negativen Auswirkungen auf die offiziellen Beziehungen zwischen beiden Staaten haben werden. „Lasst uns nicht unsere Beziehungen vergiften durch die Tatsache, dass wir eine andere Sicht auf die Ereignisse der Vergangenheit haben“, sagte Vucic. Das Urteil wird bis Jahresende erwartet. Dagegen gibt es keine Einspruchsmöglichkeiten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false