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Eine russische Atomrakete vom Typ Topol-M im Mai 2013 auf dem Roten Platz.

© dpa

Atomwaffensperrvertrag: Experten fürchten ein neues Wettrüsten

In Asien droht angesichts der Entwicklung in Pakistan, Indien oder Nordkorea ein atomarer Rüstungswettlauf. Die offziellen Atommächte investieren in die Modernisierung ihrer Kernwaffen, statt abzurüsten. Und Russland droht wie zu Zeiten des Kalten Krieges.

Der dänische Uno-Diplomat Michael Møller gilt als kühler Kopf. Doch wenn Møller auf Atomwaffen zu sprechen kommt, dann wählt er drastische Worte. Der amtierende Generalsekretär der Genfer Abrüstungskonferenz sieht sogar die gesamte Existenz des Atomwaffensperrvertrages in Gefahr. „Wir müssen sicherstellen, dass die Staaten dem Vertrag nicht den Rücken kehren“, fordert Møller. Ein Auseinanderbrechen des Paktes „wäre eine Katastrophe“.

Seit diesem Montag steht der Atomwaffensperrvertrag (NPT) für vier Wochen im internationalen Rampenlicht: In New York trafen sich die Mitgliedsländer zu der alle fünf Jahre stattfindenden NPT-Überprüfungskonferenz. Politiker, Diplomaten und Nuklearexperten debattieren über den Zustand des Paktes von 1970. Und sie beraten, wie man das Abkommen stabilisieren kann.

Zwar zeigte die jüngst verabschiedete Vereinbarung über Irans Nuklearprogramm: Fortschritt auf dem Weg hin zu einer Welt frei von atomaren Bedrohungen ist möglich. Aber: Das internationale System zur Nichtverbreitung der Atomwaffen und zur Verhinderung eines Nuklearkonflikts mit dem NPT als Herzstück befindet sich in einem kritischen Zustand. Siebzig Jahre nach dem bislang einzigen Einsatz von Atombomben ziehen sich gleich mehrere Risse durch das System.

„Wir werden Zeugen von unverhohlenen Drohgebärden der Atommacht Russland gegen westliche Staaten“, sagte Oliver Meier von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Mit derartigen Muskelspielen sei Moskau zuletzt während des Kalten Krieges aufgefallen.

Weiter scheint die angestrebte Konferenz über eine atomwaffenfreie Zone im Nahen und Mittleren Osten kaum noch realisierbar zu sein – zu groß sind die grundlegenden Differenzen zwischen Israel und arabischen Staaten über die Voraussetzungen für nukleare Abrüstungsschritte.

Auch Nordkorea lässt nicht locker

Schlimmer noch: Fachleute wie der Chef der Abrüstungskonferenz Møller warnen vor einem „gefährlichen atomaren Rüstungswettlauf“. Zumal in Asien konkurrieren die drei Atommächte China, Indien, Pakistan um das schlagkräftigste Arsenal. Und auch Nordkorea lässt nicht locker: Nach jüngsten Medienberichten aus den USA erhöht das unberechenbare Regime von Kim Yong Un die Zahl seiner nuklearen Sprengköpfe.

Das Brisante aber ist: Die Länder Pakistan und Indien traten dem Atomwaffensperrvertrag nie bei, Nordkorea erklärte seinen Rückzug aus dem NPT. Somit sind diese Länder auch nicht an den Artikel VI des Paktes gebunden – der Artikel verlangt die „allgemeine und vollständige Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle“. Adressaten dieser Forderung sind die fünf Mächte, die laut NPT Atomwaffen besitzen dürfen: die USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien.

Aber: Amerikaner, Russen, Franzosen, Chinesen und Briten investieren in die Modernisierung ihrer Arsenale – und sie schieben die Eliminierung der Waffen auf die lange Bank.

Und wie reagieren die über 180 Nichtatomwaffenstaaten auf diese Mauer-Strategie der Nuklearmächte?

Einige der Nichtatomwaffenstaaten wie Österreich, Mexiko und Thailand streben Verhandlungen über eine ganz neue Konvention an: Darin soll der Besitz und der Einsatz von Atomwaffen komplett verboten werden. Die fünf offiziellen Atommächte weisen dieses Ansinnen aber weit von sich, weil sie ihre Waffen nicht preisgeben wollen.

Falls es aber nicht gelingt, Abrüstungsfortschritte im Rahmen des bestehenden Atomwaffensperrvertrags selbst zu vereinbaren, könnte dem Abkommen laut Experten wie Oliver Meier irgendwann die Bedeutungslosigkeit drohen: „Internationale Verträge wie der Sperrvertrag sterben nicht mit einem lauten Knall, sondern mit einem langen Wimmern.“

Zentrales Denkmal in Hiroshima.
Zentrales Denkmal in Hiroshima.

© Reuters

Jan Dirk Herbermann

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