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Politik: Falsch gebürstet

Der Dialog der Kulturen findet nicht auf Augenhöhe statt Von Faruk Sen

Angesichts des „Karikaturenstreits“ wird der Ruf nach einer Intensivierung des interkulturellen Dialogs zwischen „Islam“ und „Westen“ laut. Diese Forderung verdient, hinterfragt zu werden. Denn der Gegenentwurf zu einem Kulturkonflikt zwischen Westen und Islam ist nicht ein Dialog der Kulturen, sondern eine Kultur des Dialogs. Wo der Unterschied liegt? Der interkulturelle Dialog wird seit dem 11. September 2001 in noch stärkerem Maße als zuvor von Europa und Amerika dominiert – und analog dazu bestimmen in den westlichen Aufnahmeländern muslimischer Zuwanderung die Mehrheitsgesellschaften die Agenda dessen, was mit den Minderheiten zu besprechen ist. Ganz überwiegend geht es heute im interkulturellen Dialog um die Distanzierung von Terrorismus und Fundamentalismus seitens der Muslime, auf internationaler wie nationaler Ebene.

Die Situation ist paradox. Obwohl der Islam im Westen als Bedrohung wahrgenommen wird, kann andererseits kein Zweifel daran bestehen, dass er Spielregeln und Inhalte des Dialogs weitgehend bestimmt und die islamischen Staaten und ihre Bevölkerungen das auch sehr deutlich so empfinden. Trotz aller Appelle, nicht alle Muslime über einen Kamm zu scheren und die Heterogenität islamischer Glaubensrichtungen und ihrer Ausprägungen zu würdigen, unterstellen wir unterschwellig doch eine weitgehende Geschlossenheit der islamischen Welt, zumal in ihrer Ablehnung der westlichen Gesellschaftsordnung. Und vordergründig ist die Tatsache, dass sich unter 57 islamisch geprägten Staaten mit der Türkei als rühmliche Ausnahme nur ein demokratischer befindet, nicht dazu angetan, diesen Eindruck zu widerlegen.

Der Umstand, dass dänische Imame ihre Empörung über den Umgang einer großen dänischen Tageszeitung mit dem Islam ins Ausland tragen, kann auch als Folge mangelnden Zugangs zum öffentlichen Diskurs in Dänemark interpretiert werden.

Die aktuelle Diskussion um den türkischen Spielfilm „Tal der Wölfe“ illustriert die Asymmetrie des interkulturellen Dialogs vorbildlich: Man kann nicht einerseits in der Auseinandersetzung um die Mohammed-Karikaturen auf die Pressefreiheit verweisen und dann das Verbot eines Filmes fordern, nur weil er bestimmte Sichtweisen gegen den Strich bürstet. Die westlichen Staaten sollten nicht selbstverständlich davon ausgehen, ein Monopol auf die Deutung und (populär)kulturelle Verarbeitung der „Antiterrorkriege“ zu haben.

Erst ein Dialog auf Augenhöhe ermöglicht es, tatsächlich Probleme anzusprechen und zu lösen. Der Kern der Auseinandersetzung zwischen Islam und Westen liegt nicht in kultureller Differenz, sondern in der nationalen und internationalen Politik: in Israel und Palästina, in Afghanistan, im Irak und in Iran. Und er liegt in der fehlenden gesellschaftlichen Chancengleichheit vieler muslimischer Zuwanderer hier bei uns. Es wird dringend Zeit, die Muslime in Deutschland weniger dazu aufzufordern, sich vom Terrorismus zu distanzieren – mit dem sie sowieso nichts im Sinn haben – und gemeinsame Wege für den Schulerfolg muslimischer Kinder und die nachhaltige Integration eines plural orientierten Islam in die deutsche Gesellschaft zu suchen.

Wir brauchen eine Kultur des Dialogs mit den Muslimen und den islamischen Staaten, dessen Ziel nicht primär eine interkulturelle Verständigung zwischen eigentlich nicht geschlossen existierenden Kulturen zu sein braucht, sondern die Lösung politischer Probleme.

Der Autor ist Direktor der Stiftung „Zentrum für Türkeistudien“ an der Universität Duisburg-Essen.

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