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Politik: Fehler und Versäumnisse?

Nach dem Mord an einem 20-jährigen Häftling hagelt es Kritik auf Nordrhein-Westfalens Justizministerin

Das Wort Rücktritt kommt nicht über ihre Lippen. „Nein, warum denn?“, sagt Roswitha Müller-Piepenkötter mit ungläubigem Augenaufschlag zurück und murmelt dann noch etwas wie: „Ich muss das Ganze doch aufklären.“ Spätestens an dieser Stelle schlagen viele im Düsseldorfer Landtag die Hände über dem Kopf zusammen und diktieren den Journalisten die lange Liste von Versäumnissen der Justizministerin in die Blöcke. Müller-Piepenkötter hat fast volle vier Tage gebraucht, um den Ernst der Lage nach dem Mord an einem 20-jährigen jungen Mann in der Haftanstalt Siegburg zu erkennen. „Die wusste am Donnerstagmorgen in der Sitzung des Justizausschusses überhaupt nicht Bescheid, sie war desorientiert und hilflos“, empört sich Horst Becker, der grüne Landtagsabgeordnete, noch am Tag danach.

Zu diesem Zeitpunkt sind weitere Details bekannt geworden. Der junge Mann ist ermordet worden, weil seine drei Mitgefangenen sehen wollten, „wie jemand stirbt“. Diesen Satz haben die drei Täter dem ermittelnden Staatsanwalt inzwischen zu Protokoll gegeben. Sie haben ihr Opfer gefoltert, misshandelt und sexuell missbraucht, bevor sie es am Ende stranguliert haben. Der 20-Jährige wurde Sonntag früh tot in der Zelle des Jugendgefängnisses Siegburg gefunden.

Politiker, die sich mit der politischen Aufarbeitung beschäftigen, geraten rasch in Rage. „Der Leiter der Justizvollzugsanstalt meldet am Montag einen Selbstmord und fährt zu einer Tagung, obwohl der Arzt Hinweise auf Fremdverschulden hatte“, empört sich Ralf Jäger, der stellvertretende Fraktionschef der SPD im Landtag. Das Ministerium hält bis zu diesem Zeitpunkt weder eine Untersuchung noch einen Besuch vor Ort für nötig. Das ändert sich auch nicht, als am Dienstagvormittag der Obduktionsbericht vorliegt und eindeutig feststeht, dass der junge Mann von den Mitgefangenen ermordet worden ist – auch das Ministerium kennt den Sachverhalt.

Die zuständige Ministerin Roswitha Müller-Piepenkötter geht Donnerstag früh in eine Sondersitzung des Justizausschusses und kann wesentliche Fragen nicht beantworten. „Sie wusste nicht, wie viele Beamte am Wochenende in Siegburg Dienst hatten“, sagt Jäger. Erst am Nachmittag fährt sie in die Haftanstalt und lässt anschließend verbreiten, dass es jetzt „disziplinarische Vorermittlungen“ gegen die Mitarbeiter in Siegburg gebe. „Das ist völlig unzureichend“, sagt Jäger. Dem SPD-Politiker liegen inzwischen Hinweise vor, dass es gerade in Siegburg in den vergangenen Monaten auffällig viele Zwischenfälle mit gewalttätigen Häftlingen gegeben hat. „Was hat das Ministerium getan?“, fragt er , um die Antwort schließlich selbst zu geben: „Die haben eine Studie in Auftrag gegeben.“ Dabei weiß man längst, dass die Zelle mit vier Personen überbelegt war und das Personal selbst auf den Alarmruf des gefolterten jungen Mannes nicht angemessen reagiert hat. Die Beamten hatten die Zelle zwar untersucht, ihnen war aber nicht aufgefallen, dass das Opfer zu diesem Zeitpunkt schon schwer verletzt und halb totgeschlagen worden war.

Dass Justizministerin Müller-Piepenkötter die Sache nun aufklären will und glaubt, ihr Einsatz könne helfen, liefert der Opposition Munition. „Sie hat bisher nichts zur Aufklärung getan, sie und ihr Ministerium waren eher ein Hindernis, das ist völlig unglaubwürdig“, sagt Jäger. Horst Becker von den Grünen sieht es ähnlich, er glaubt nicht, dass die Ministerin die vielen Fragen glaubwürdig beantworten kann. „Gibt es besondere Probleme mit Drogen in Siegburg?“, möchte er zum Beispiel wissen und weist darauf hin, dass das Opfer auch ein Drogenproblem gehabt haben soll. Deswegen steht die Frage im Raum, ob er nicht anders als in einer Viererzelle hätte untergebracht werden müssen. „Aber bei der Drogenhilfe im Knast hat Schwarz-Gelb gekürzt“, schiebt Becker nach. Für die SPD sind diese Fragen ebenfalls wichtig. Ihre Mitglieder sind dagegen, dass Roswitha Müller-Piepenkötter sich weiter auf diesem Feld tummelt. „Die muss gehen“, verlangt Jäger.

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) mahnte inzwischen die Bundesländer, sie müssten endlich die vom Bundesverfassungsgericht geforderten Verbesserungen im Jugendstrafvollzug umsetzen. Zudem müsse mehr Personal mit besserer Ausbildung und besserer Bezahlung eingestellt werden, sagte die Ministerin am Freitag in Berlin.

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