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Politik: Filz oder Verantwortung

Sollen Funktionäre der Grünen künftig auch Parlamentsmandate haben dürfen? Die Basis stimmt ab

Von Matthias Meisner

Nach viereinhalb Jahren in der Bundesregierung sind die Grünen geübt darin, alte Zöpfe abzuschneiden. Als alter Zopf gilt vielen in der Partei auch die Trennung von Partei-Amt und Mandat, ein noch immer geltendes Prinzip aus den Gründungstagen. Mehrere Parteitage beschäftigten sich in stundenlangen Debatten mit der Regelung, die es grünen Parteifunktionären verbietet, ein Abgeordnetenmandat in einem Landtag oder dem Bundestag auszuüben. Ein „Fortsetzungsroman“, sagt Parteichef Reinhard Bütikofer – halb genervt, halb amüsiert. Jetzt aber soll die Diskussion nach dem Willen der Führung doch noch ihren Abschluss finden.

In der zweiten Urabstimmung der Grünen nach dem Zusammenschluss von Grünen und Bündnis 90 vor zehn Jahren sind von diesem Dienstag an alle 43 391 Mitglieder, die zum Stichtag 31. Dezember 2002 in der Partei waren, aufgerufen zu entscheiden: Soll alles beim Alten bleiben? Oder dürfen künftig wenigstens zwei Mitglieder des Bundesvorstandes auch einem Parlament angehören, wenn auch nicht als Fraktionsvorsitzende oder Regierungsmitglied?

Zuletzt bewegt hatte der Streit die Grünen Ende vergangenen Jahres. Damals bestätigte ein Parteitag in Hannover die Trennung von Amt und Mandat und verbaute damit dem erfahrenen Vorstands-Duo Claudia Roth und Fritz Kuhn – beide waren kurz zuvor in den Bundestag gewählt worden – die erneute Kandidatur. In einem Brief an die Kreisvorstände appelliert der Bundesvorstand nun, die umstrittene Satzungsfrage trotz Irak-Krieg und Sozialreformen „nicht zu vergessen“. Nur eine gute Beteiligung werde auch „tatsächlich eine klärende Wirkung haben“. Intern wird hinzugefügt, zumindest jedes vierte Parteimitglied müsse seinen Stimmzettel auch wirklich zurückschicken. Alles andere wäre „politisch ein Misserfolg“.

So liefert der Vorstand in den Unterlagen für jedes Mitglied noch einmal ein ausführliches Pro und Contra, „mit guten Argumenten für beide Lösungen“, wie Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke meint. Die frühere Parteichefin Krista Sager argumentiert, im Vergleich zu Vorsitzenden anderer Parteien mit Parlamentsmandat hätten die Grünen-Chefs „ein bisschen die Rolle der armen Verwandtschaft – weniger dicht dran am Ort des politischen Geschehens“. Der Parteilinke Hans-Christian Ströbele warnt die Basis vor einer „Abhängigkeits- und Filzstruktur“ in der Partei. Und fügt hinzu: „Die besondere Rolle von Joschka Fischer innerhalb und außerhalb der Partei wird nicht dadurch anders, dass Parteivorsitzende auch Bundestagsabgeordnete sind.“

Der Vorstand selbst wirbt für die Satzungsänderung. Auf das Ergebnis der Abstimmung, die bis 23. Mai ausgezählt sein soll, mag aber dort keiner wetten. Nur eines scheint ziemlich sicher: Roth und Kuhn werden die Grünen so schnell nicht als Vorsitzende zurückbekommen, selbst wenn die Trennung von Amt und Mandat gelockert oder aufgehoben wird. Roth wirkt inzwischen als Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, und auch Kuhn hat als Wirtschaftsexperte der Bundestagsfraktion eine neue Rolle gefunden.

Manche Stimme gegen die Satzungsänderung werden die neuen Vorsitzenden Angelika Beer und Bütikofer indes auch als Bestätigung betrachten dürfen, ganz gut zu arbeiten – ohne zugleich ein Parlamentsmandat innezuhaben.

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