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Am Dienstag treten in Ungarn schärfere Einwanderungsgesetze in Kraft. Dann wird auch der Grenzzaun zu Serbien endgültig geschlossen:

© Balazs Mohai7dpa

Flüchtlinge in Ungarn: "Das letzte Loch im Grenzzaun"

Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche, war zwei Tage im ungarischen Flüchtlingslager in Röszke.

Wie ist die Lage in Ungarn und Serbien?

Wir waren im Flüchtlingslager Rözske an der ungarisch-serbischen Grenze. Da ist das letzte Loch im Grenzzaun. Man sieht die Menschen auf den Gleisen näher kommen, darunter Familien mit kleinen Kinder, alle mit erschöpften Gesichtern und der Erwartung, endlich in Sicherheit zu sein. Was passiert mit ihnen, wenn der Zaun in zwei Tagen geschlossen wird? In Serbien werden die Flüchtlinge regierungsseitig besser behandelt als in Ungarn. Es ist sauber, der Müll wird weggeräumt. Ehrenamtliche und staatliche Organisationen arbeiten gut zusammen.

Heinrich Bedford-Strohm ist EKD-Ratsvorsitzenden und Bayerischer Landesbischof.
Heinrich Bedford-Strohm ist EKD-Ratsvorsitzenden und Bayerischer Landesbischof.

© Doris Spiekermann-Klaas

Ungarn setzt auf Abschreckung. Funktioniert das?

Nur insofern, als die Menschen möglichst schnell weiterwollen. Sie haben überhaupt kein Vertrauen in staatliche Behörden in Ungarn.

Viele weigern sich, ihre Fingerabdrücke abzugeben.

Das ist eine Folge der Abschreckungspolitik. Indem sie sich weigern, entziehen sie sich aber auch den rechtlich vorgesehenen Prozeduren. Ungarn will die Leute registrieren, wie es das Dublin-Verfahren vorsieht. Wenn sie sich entziehen, kann das Ungarn rein rechtlich nicht hinnehmen. Doch Ungarn klagt die Gesetze ein, die es zugleich selbst torpediert durch die Art und Weise, wie es die Flüchtlinge behandelt. Da hilft nur: Man muss wieder zusammenkommen und gemeinsam mit Ungarn für die Werte Europas einstehen. Europa darf nicht auseinanderbrechen. Die Gegenüberstellung „gute Deutsche“ versus „böse Ungarn“ wäre fatal. Und sie trifft auch nicht die Realität. Ungarn ist vielfältiger als das, was sein Ministerpräsident repräsentiert.

Haben Sie mit Ungarn gesprochen, die das Verhalten ihrer Regierung kritisch sehen?

Viele Ungarn setzen sich eindrucksvoll für die Flüchtlinge ein, etwa am Budapester Bahnhof. Ich habe auch mit Menschen gesprochen, die den Kurs der Regierung kritisch sehen. Doch Viktor Orbáns Kurs hat viel Rückhalt.

Hat Merkel Europa überfordert mit der Willkommensgeste an die Flüchtlinge?

Es war die angemessene Reaktion auf eine humanitäre Notsituation. Davor muss man Hochachtung haben. Es ist ja auch nicht allein Merkel, die dieses Signal aussendet, sondern es ist eine Gemeinschaftsanstrengung vieler, für die Deutschland bewundert wird. Darüber kann man sich nur freuen.

Jetzt kontrolliert die Bundespolizei wieder die Grenzen. Was halten Sie davon?

Natürlich können nicht alle Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Aber Grenzkontrollen sind keine Dauerlösung. Ich verstehe das als Notmaßnahme, als Atempause. Ganz Europa muss jetzt auf dem Verhandlungsweg in Brüssel eine Anstrengung unternehmen und klare Regeln aufstellen, aber Regeln, die sich an der Humanität orientieren und nicht an der Abschreckung, nicht an einem Verständnis Europas als Festung, sondern als Hort der Menschenrechte.

Wo stehen die Kirchen in Ungarn? Auf der Seite von Viktor Orbán?

Das ist unterschiedlich. Etliche sind sehr aktiv in der humanitären Hilfe. Als bayerischer Landesbischof habe ich besonders enge Beziehungen zur lutherischen Kirche. Einer der Bischöfe hat einen sehr bewegenden Brief geschrieben über den „Marsch der Flüchtlinge auf der Autobahn“ und mehr Humanität angemahnt. Aber man muss noch viele Gespräche im Hintergrund führen, um hier breite gemeinsame Positionen zu finden. Nicht zuletzt deshalb bin ich hier. Wir müssen immer wieder klar machen, dass die Berufung auf ein „christliches“ Europa sich am tatsächlichen Bezug zu Jesus Christus messen lassen muss. zu einem christlichen Europa der Glaube an Jesus Christus gehört. Der hat gesagt: „Was ihr einem der Geringsten getan habt, habt ihr mir getan“.

Ungarn will nur Christen aufnehmen. Sollte Europa darauf eingehen?

Das kann man nicht akzeptieren. Osteuropäer haben andere Erfahrungen gemacht mit Pluralität als Westeuropäer. Man muss sich aber verständigen, wie diese unterschiedlichen Erfahrungen geachtet werden können – ohne dass Europa zerfällt in einen Teil, in dem Religionsfreiheit und Pluralismus gelten, und einen Teil, in dem man einem Homogenitätsideal nachhängt, das es in einer globalisierten Welt nicht mehr gibt.

Es gibt Pläne, Registrierungszentren für Flüchtlinge in Ungarn, Italien und Griechenland einzurichten. Eine gute Idee?

Das hängt ganz davon ab, wie die gestaltet werden. Entscheidend ist, dass dort die rechtsstaatlichen europäischen Standards gelten. Solche Zentren dürfen nicht zum Instrument der Abschreckung werden.

Heinrich Bedford-Strohm, 55, ist bayerischer Landesbischof und Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Das Gespräch führte Claudia Keller.

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