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Was wird aus ihnen? Afrikanische Flüchtlinge auf Lampedusa.

© dpa

Flüchtlingsproblematik: Kein Land in Sicht

Die EU streitet heftig über den Umgang mit Flüchtlingen aus dem Krisengebiet. Worum geht es dabei? Wer sind die Flüchtlinge? Und wie ist dem Problem dauerhaft beizukommen?

Italien will tunesischen Flüchtlingen eine befristete Aufenthaltserlaubnis erteilen, mit der die Tunesier im gesamten Schengenraum reisen dürfen. Das erzürnt Staaten wie Frankreich, Österreich und Deutschland, sie drohen mit scharfen Kontrollen. Auf der Konferenz der EU-Innenminister am Montag in Luxemburg wurde deutlich, wie sehr Europa in der Flüchtlingsfrage gespalten ist.

Was ist auf der Innenministerkonferenz beschlossen worden?

Im Streit um die Aufnahme von Flüchtlingen aus Nordafrika bleiben die Fronten auch nach dem Treffen des EU-Innenministerrats verhärtet. Deutschland und andere EU-Staaten weigern sich, die gut 23 000 in Italien und Malta gestrandeten Menschen aufzunehmen, wie das die Regierung in Rom fordert. Der italienischen Forderung wurde nicht stattgegeben. Dazu hätten die Minister eine sogenannte EU-Richtlinie über den Umgang mit Flüchtlingen im Falle eines Massenzustroms aktivieren müssen, die die Europäische Union im Jahr 2001 unter dem Eindruck der Balkankriege verabschiedet hatte. Doch nicht nur die EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström aus Schweden nannte ein mögliches Inkraftsetzen eines Verteilungsmechanismus für die Flüchtlinge aus Tunesien und die Vertriebenen des Libyenkrieges „voreilig“. Ein EU-Diplomat berichtete aus den Verhandlungen, dass es „eine klare Mehrheit dagegen gegeben“ habe.

Was hat Italien vor?

Italiens Regierung will an tunesische Flüchtlinge für sechs Monate gültige Aufenthaltsgenehmigungen vergeben, mit denen sie auch in andere EU-Staaten reisen könnten. Laut Pro Asyl betrifft dieses Verfahren rund 20 000 Tunesier, die bis zum 5. April um Mitternacht auf Lampedusa gelandet sind. Wer später kam, soll abgeschoben werden. Einen ersten Abschiebeflug nach Tunesien mit 30 Menschen habe es schon gegeben. Tunesier mit Aufenthaltserlaubnis wurden mit Schiffen auf das italienische Festland verteilt.

Die anderen Staaten lehnen die Aufenthaltserlaubnis ab, denn die Vergabe der Genehmigungen ist nicht mit einem regulären Asylverfahren zu verwechseln. Die tunesischen Bootsflüchtlinge beantragen kaum Asyl, sondern sind vor allem auf der Suche nach Arbeit. Mit der italienischen Erlaubnis können sie in andere Länder reisen, besonders Frankreich befürchtet einen Ansturm, da hier bereits viele Tunesier leben. Aber auch der deutsche Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) kritisiert das Vorgehen Italiens. „Wir können nicht akzeptieren, dass über Italien Wirtschaftsflüchtlinge nach Europa kommen“, sagte er in Luxemburg.

Landen auf Lampedusa nur Wirtschaftsflüchtlinge?

Der Großteil der Flüchtlinge sind Tunesier, aber auch aus Libyen kommen Boote an – sie haben vor allem Transitflüchtlinge aus anderen afrikanischen Ländern an Bord, die in Europa Asyl suchen. Sie haben laut Pro Asyl gute Chancen, in Europa als Flüchtlinge anerkannt zu werden. Die rund 1000 Asylbewerber unter anderem aus Somalia oder Eritrea, die auf dem Inselstaat Malta gelandet sind, wurden daher auch von den Innenministern anders bewertet. Die Bundesregierung sagte vergangene Woche zu, 100 von ihnen aufzunehmen. „Nicht die Asylbewerber sind das Problem“, so ein EU-Diplomat, „sondern die illegalen Migranten.“ EU-Kommissarin Malmström war in dieser Sache bereits vorvergangene Woche zu Besuch in Nordafrika. Sie soll der Ministerrunde in Luxemburg vorgeschlagen haben, verfolgten oder vom Krieg in Libyen bedrohten Flüchtlingen in der EU Schutz zu bieten. Ein solches Vorgehen wird in der Fachwelt als „Resettlement“ bezeichnet. „Das“, so der EU-Diplomat, „wurde von den Ministern natürlich sehr kontrovers diskutiert.“

Ist Italien tatsächlich überfordert?

Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi sprach von einem drohenden „menschlichen Tsunami“. Europa könne sich dieser Sache nicht entziehen. Allerdings ist die beschworene Bedrohung durch Zahlen bisher nicht zu belegen. Während im Jahr 2010 in Italien 10 050 Asylbewerber lebten, waren es beispielsweise in Deutschland 48 490 und in Frankreich sogar 51 595. Die CSU-Europaabgeordnete Monika Hohlmeier, im Parlament für Asyl- und Flüchtlingsfragen zuständig, sagte, über eine Aktivierung der Massenfluchtrichtlinie könne man erst nachdenken, wenn die Zahl der Flüchtlinge die 100 000 übersteige. Tatsächlich sieht das EU-Gesetz eine Verteilung auch erst dann vor, wenn „eine signifikante Zahl von Asylbewerbern“ nach Europa kommt. Das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche, Amnesty International und die Opposition forderten, mehr Menschen in Deutschland aufzunehmen.

Macht Deutschland die Grenzen dicht?

Weil Italien den Tunesiern im gesamten Schengenraum gültige Visa ausstellen will, kündigte Bundesinnenminister Friedrich an, „situationsangepasst“ Kontrollen zu verstärken. Damit sind aber vor allem Stichproben gemeint, systematische Grenzkontrollen sind innerhalb des 26 Staaten umfassenden Schengenraumes untersagt. Die Regelungen wurden in der Vergangenheit zwar bei Großereignissen wie Fußball-WM oder Nato-Gipfel vorübergehend außer Kraft gesetzt, dafür bedarf es laut Artikel 23 des Schengener Grenzkodexes allerdings „einer schwerwiegenden Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit“. Zusätzlich müsste Deutschland im Vorfeld gegenüber den anderen Staaten die Gründe seiner Entscheidung offenlegen. Außerdem müssten die genauen Maßnahmen und ihre Dauer bekannt gemacht werden. Zur genauen Form der Kontrollen hat sich das Innenministerium nicht geäußert. Es sei hierfür noch zu früh, man warte vorerst ab, hieß es aus dem Ministerium. Friedrich forderte von Italien, dass es „die rechtlichen Vorschriften beachtet und seine Aufgaben erledigt mit Tunesien“. Die Bundesregierung erwartet, dass die Italiener vor allem vorschriftsmäßige Asylverfahren durchführen oder die Flüchtlinge in ihr Herkunftsland abschieben.

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