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CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann will eine grundlegende Reform der Grundsicherung.

© dpa/Michael Kappeler

Update

„Forderung geht an der Wirklichkeit vorbei“: Linnemann wird für Bürgergeld-Aussage auch innerhalb CDU kritisiert

Dem CDU-Generalsekretär reichen die Bürgergeld-Reformpläne der Ampel nicht aus. Carsten Linnemann will Arbeitsunwilligen das Bürgergeld komplett streichen und erhält dafür deutliche Kritik.

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Für seine Forderung, mutmaßlich arbeitsunwilligen Bürgergeld-Empfängern die Grundsicherung komplett zu streichen, erhält CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann Gegenwind vom Sozialflügel der eigenen Partei. „Die Forderung von CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann geht an der Wirklichkeit vorbei“, kritisierte der Vize-Vorsitzende der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), Christian Bäumler.

Wer für die Jobcenter nicht erreichbar ist, hat häufig psychische Probleme.“ Menschen in Deutschland dem Hunger auszusetzen, sei jedenfalls mit dem christlichen Menschenbild nicht vereinbar, so Bäumler.

Über die staatlichen Sozialleistungen in Deutschland wird auch nach den von der Ampelkoalition beschlossenen verschärften Regeln beim Bürgergeld weiter heftig diskutiert. Die CDU begrüßt die Änderungen, fordert aber weitere harte Schritte. Generalsekretär Carsten Linnemann spricht sich dafür aus, mehr als 100.000 Menschen das Bürgergeld komplett zu streichen.

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„Die Statistik legt nahe, dass eine sechsstellige Zahl von Personen grundsätzlich nicht bereit ist, eine Arbeit anzunehmen“, sagte Linnemann den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Wenn jemand grundsätzlich nicht bereit ist, Arbeit anzunehmen, muss der Staat davon ausgehen, dass derjenige nicht bedürftig ist. Leistungskürzungen um zehn, 20 oder 30 Prozent reichen da nicht. Dann muss die Grundsicherung komplett gestrichen werden.“

Das Bürgergeld ist die Grundsicherung für Arbeitssuchende. Davon getrennt ist die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, zum Beispiel wegen Krankheit oder Behinderung.

Ich möchte ein gerechtes System der Grundsicherung, und das Bürgergeld ist nicht gerecht.

Carsten Linnemann, CDU-Generalsekretär

Dabei bezog Linnemann ukrainische Flüchtlinge, die Bürgergeld beziehen, mit ein. „Die Ukrainer verteidigen auch unsere Freiheit. Aber wenn es eine Leistung gibt, ist sie mit einer Gegenleistung verbunden. Dazu zählt, eine Arbeit aufzunehmen.“ Hier fehlten „ganz klar“ entsprechende Anreize.

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„Wir müssen diskutieren, warum in vielen europäischen Staaten mehr als 50 Prozent der Ukrainer arbeiten, in Deutschland aber nur 25 Prozent“, sagte der CDU-General. Ausnahmen sieht er bei Alleinerziehenden oder Menschen, die Angehörige pflegen. Geflüchteten aus der Ukraine steht das Bürgergeld sofort zu, anders als anderen Schutzsuchenden.

Die Bundesregierung will mit schärferen Regeln mehr Bezieher von Bürgergeld zur Aufnahme einer Arbeit bewegen. So soll künftig ein längerer Weg zur Arbeit zumutbar sein, das Ablehnen einer zumutbaren Arbeit mit erhöhten Leistungskürzungen geahndet werden und auch Schwarzarbeit zu Kürzungen führen.

5,6
Millionen leistungsberechtigte Erwachsene und Kinder gab es Ende Juni.

Die von der Ampelregierung geplante Bürgergeld-Reform beschrieb Linnemann als unzureichend. „Ich finde es gut, dass die Ampel einen ersten Schritt beim Bürgergeld gehen will. Aber wir brauchen einen grundsätzlichen Politikwechsel – hin zu einer neuen Grundsicherung“, sagte er. „Ich möchte ein gerechtes System der Grundsicherung, und das Bürgergeld ist nicht gerecht.“

Auch die FDP pocht auf eine grundlegende Reform. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte zu den bisher geplanten, verschärften Maßnahmen gegenüber der Deutschen Presse-Agentur am Montag: „Das reicht nicht. Wir wollen weitere Reformen beim Bürgergeld.“ Leistung solle sich erstens wieder mehr lohnen. Zweitens sollten sich die Sozialausgaben des Staates wieder mehr auf die konzentrieren, „die tatsächlich Unterstützung benötigen“.

Regierung rechnet mit Nullrunde beim Bürgergeld 2025

Empfängerinnen und Empfänger von Bürgergeld müssen sich auf eine mögliche Nullrunde im kommenden Jahr einstellen. Anfang 2024 seien die Regelbedarfssätze im Vergleich zu den Vorjahren stark gestiegen, sagte eine Sprecherin des Bundesarbeitsministeriums in Berlin. Dies habe an der vorhergegangenen hohen Inflation gelegen. „Wir rechnen im Moment damit, dass angesichts der jetzt rückläufigen Preissteigerungsraten wahrscheinlich nach jetziger Lage zum 1. Januar 2025 es auch sein kann, dass es keine Erhöhung geben wird.“

Ende Juni gab es nach Angaben der BA rund 5,6 Millionen leistungsberechtigte Erwachsene und Kinder, davon gelten 3,9 Millionen als erwerbsfähig. Unter den Beziehern sind auch viele sogenannte Aufstocker, also Menschen, die arbeiten.

Große Probleme beim Bürgergeld hatten zuletzt auch die früheren Chefs der Bundesagentur für Arbeit (BA), Frank-Jürgen Weise und Heinrich Alt, beklagt. „Es gibt in Deutschland 260.000 junge Menschen zwischen 25 und 45, die seit längerer Zeit nicht arbeiten, obwohl sie alle Kriterien für Erwerbstätigkeit erfüllen“, sagt Weise dem „Spiegel“. 

„Die Jobcenter sind wie gelähmt von Bürokratie“, so Weise. „Das System ist völlig intransparent. Es ist nicht mehr steuerbar.“ Gemeinsam mit Alt schlage er vor, die Jobcenter zu entlasten.

Der Chef des größten Jobcenters Deutschlands in Hamburg, Dirk Heyden, hat große Bedenken gegen geplante Änderungen und warnte nun vor personellen Engpässen. „Eine monatliche Meldepflicht unserer Kundinnen und Kunden sehe ich sehr kritisch“, sagte Heyden dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Es ergibt keinen Sinn, dass die Bürgergeldbeziehenden in der Eingangszone erscheinen und sich einen Stempel abholen.“

Es müsse darum gehen, ein qualifiziertes Gespräch zu führen, fügte der Jobcenter-Chef zu. „Das ist mit allen Leistungsbeziehenden einmal im Monat unter den gegebenen personellen Rahmenbedingungen nicht umsetzbar. Die Zahl der dafür erforderlichen zusätzlichen Berater würde die Kosten erheblich erhöhen.“

Forderung nach vereinfachtem Verfahren

Mit Blick auf die geplante Sanktionsverschärfung forderte Heyden ein vereinfachtes Verfahren zur Sanktionsauferlegung. „Das Verfahren zur Umsetzung einer Leistungsminderung ist derzeit zu kompliziert. Die rechtssichere Anwendung ist an mehrere Voraussetzungen gebunden“, ergänzte Heyden.

„Der vorgeschriebene Weg über den Kooperationsplan bis zum Bescheid nach vorheriger Anhörung ist zu kleinteilig. Hier benötigen die Jobcenter eine deutliche Vereinfachung, damit die Regelungen im Alltag sicher angewandt werden können.“

Im vergangenen Jahr wurde der Regelsatz offiziellen Zahlen zufolge bei rund 0,4 Prozent der erwerbsfähigen Bürgergeldbezieherinnen und -bezieher wegen der Ablehnung von Arbeitsangeboten gekürzt. Die Sanktionen erfolgen stufenweise: Bei wiederholten Verstößen gleich welcher Art wird das Bürgergeld bisher schrittweise um bis zu 30 Prozent gekürzt.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales schreibt auf seiner Webseitedie Lebensumstände der Bürgergeld-Empfänger seien vielfältig. Viele pflegten Angehörige, besuchten Sprachkurse, holten eine Ausbildung nach, seien alleinerziehend oder chronisch erkrankt. „Weniger als die Hälfte der erwerbsfähigen Bürgergeld­beziehenden sind überhaupt arbeitslos, und hiervon wiederum verweigern nur einige wenige nachhaltig die Aufnahme einer Arbeit.“

Diakonie-Chef: Linnemanns Zahlen sind falsch

Diakonie-Präsident Rüdiger Schuch hat Linnemann in der Debatte um das Bürgergeld vorgeworfen, mit falschen Zahlen zu operieren. Linnemanns Behauptung, mehr als 100.000 Menschen seien zur Arbeit gar nicht bereit, sei „schlicht falsch“, sagte Schuch am Montag in Berlin.

Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zeigten, dass nicht einmal ein Prozent der Bürgergeldbezieher als sogenannte Totalverweigerer eingestuft würden, führte Schuch aus: „Im Vergleich zu den vielen Menschen, die gerne arbeiten würden, es aber aufgrund ihrer multiplen Problemlagen nicht können, ist dies eine äußerst geringe Zahl.“

Zudem müssten fast 800.000 arbeitende Menschen ihr Gehalt mit Bürgergeld aufstocken, ergänzte der Präsident der Diakonie Deutschland. „Ihnen wäre mit besseren Löhnen geholfen.“

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