zum Hauptinhalt

Frankreich-Besuch: Gaddafis Karawane zieht weiter

"Zuerst kommt das Business, danach erst kommen die Prinzipien und die Moral." Der Libyer hat seine Zelte in Paris abgebrochen und Sarkozys Ansehen ramponiert.

Der libysche Staatsführer Muammar al Gaddafi hat sich nach dem offiziellen Teil seines Besuchs in Paris als Tourist Zeit für Sehenswürdigkeiten genommen. Sein extravagantes Auftreten und seine zweideutigen Stellungnahmen zu den Menschenrechten und zum Terrorismus hinterlassen einen zwiespältigen Eindruck bei den Gastgebern.

Als er vor 34 Jahren zum ersten Mal in Paris empfangen wurde, war Gaddafi noch ein junger Putschistenoffizier, dem man mit größtem Misstrauen begegnete. Indem er ihn mit allen Ehren im Élysée empfing, erfüllte Nicolas Sarkozy dem libyschen Staatsführer nun einen Traum. Dieser genoss darum seinen Aufenthalt in vollen Zügen, indem er nach dem offiziellen Programm im Louvre die „Venus von Milo“ bestaunte und sich das Schloss von Versailles zeigen ließ. Während seiner Rundfahrt auf der Seine wurden sämtliche Brücken von Paris für Fußgänger gesperrt. Am Samstag brach Oberst Gaddafi sein Zelt in Paris ab, um mit seinem Tross von mehreren hundert Begleitern und uniformierten Amazonen, von den französischen Medien „Gaddafi-Zirkus“ getauft, nach Spanien, der nächsten Etappe seiner Europa-Tournee, weiterzureisen.

Die bissigen Kritiker machten bis zum Schluss des umstritten Besuches geltend, es sei nicht statthaft, in dieser schockierenden Art den roten Teppich für einen Diktator auszurollen, nur weil dieser vage verspricht, sich in Zukunft zu bessern. Angegriffen bei dieser Polemik um die ethischen Grenzen der Diplomatie fühlt sich in erster Linie Staatspräsident Sarkozy, der die Gastgeberrolle trotz aller Irritationen stoisch zu Ende spielte. Aus französischer Sicht dauerten diese sechs Tage eine halbe Ewigkeit, und jeden Morgen fragten sich die Regierungsvertreter, was sich der unberechenbare Gast wohl noch einfallen lassen könnte.

Das neue Motto der französischen „Realpolitik“ (ein deutsches Fremdwort im französischen Politologenjargon) sei klar, meint der Fernsehsender M6 bei der Bilanz: „Zuerst kommt das Business, danach erst kommen die Prinzipien und die Moral.“ Schon am ersten Tag wollte Sarkozy alle politischen und moralischen Einwände mit dem Argument entkräften, dass Gaddafi Verträge im Wert von rund zehn Milliarden Euro unterzeichnet habe. Bereits am zweiten Tag stellte sich heraus, dass es sich dabei weitgehend um eine verfrühte Ankündigung oder gar um einen reinen Bluff handelte. Denn ein Teil dieser lukrativen Bestellungen sind entweder nicht neu oder – wie der Kauf von Rafale-Jets und anderem Rüstungsmaterial – noch völlig hypothetisch und vorerst nur Gegenstand zukünftiger Verhandlungen. Bei den von Sarkozy erwähnten zehn Milliarden handle es sich um eine „Perspektive“, räumte schließlich Präsidentensprecher David Martinon ein.

Auf Drängen Sarkozys distanzierte sich Gaddafi vom Terrorismus, der mit zwei Attentaten in Algier zugeschlagen hatte. Wer aber in Paris ein öffentliches Bekenntnis zu den Menschenrechten und eine Absage am Terror ohne Wenn und Aber erwartet hatte, musste konsterniert feststellen, dass der Libyer sich keinen demokratischen Verhaltenskodex diktieren lässt oder sich sogar mit unverhohlenem Zynismus über seine Kritiker lustig macht. Am Ende herrschte darum der Eindruck vor, dass Sarkozys Kalkül nicht aufgegangen ist und dass der Gastgeber düpiert dasteht. „Am Ende dieser witzlosen Farce kommt man nicht drum herum, ein echtes Malaise zu empfinden“, meint „Le Monde“. In zahlreichen anderen Medien heißt es, der Gastgeber habe sich und Frankreich lächerlich machen und erniedrigen lassen. Laut Umfragen war dieser Besuch auch kein Publikumserfolg.

Für Präsident Sarkozy bedeutet der Gaddafi-Besuch eine Wende in der Wahrnehmung seiner Politik. Anstoß erregte, dass der französische Staatschef so penetrant in Abrede stellt, was offensichtlich ist: Dass nämlich Gaddafis Gegenbesuch in Paris und die dabei besiegelte Normalisierung und Banalisierung des libyschen Regimes zum Preis für die Befreiung der bulgarischen Krankenschwestern im Juli gehört. Sarkozy bezahlte dieses Lösegeld, um sich zu profilieren und um im lockenden Geschäft mit dem ressourcenreichen Libyen eine Vorzugsstellung zu erkaufen.

Rudolf Balmer[Paris]

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false