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Frauen im Vorstand: Selbstzweifel fehl am Platz

Nur keine Selbstzweifel, wenn ein Posten vergeben wird: So kommt man nach oben, sagt Angelika Dammann. Sie schaffte es in den SAP-Vorstand, auch ohne Frauenquote. Zum Verhängnis wurde ihr am Ende aber etwas anderes.

Die erste Quote, an die Angelika Dammann sich erinnert, hieß: 120 Prozent. Ein Fünftel mehr als alles. Weniger hätte nicht gereicht, damals, als es losging mit ihrer Karriere. Weniger reicht ihrer Meinung nach überhaupt nie, wenn man Karriere machen will.

Das erste Mal ging es für sie um 120 Prozent, als sie in der Personalabteilung des Mineralölkonzerns Shell AG in Hamburg arbeitete. Sie war Anfang 30 und gerade Mutter geworden. Ihr Chef wunderte sich, als seine Mitarbeiterin kein halbes Jahr nach der Geburt schon wieder im Büro war und während des Mutterschutzes auch noch ihre Doktorarbeit fertig geschrieben hatte. Er fragte:

– „Und was ist mit Ihrem Sohn?“

– „Der ist bei meinem Mann."

Da blieb er auch, und Angelika Dammann hatte den Rücken frei für den beruflichen Aufstieg. Eine Frauenquote hat sie nie gebraucht.

Bei der Shell AG wurde sie Personal- und Finanzmanagerin, 2008 bei Unilever Geschäftsführerin und Arbeitsdirektorin, im Sommer 2010 dann für ein Jahr Personalvorstand des Walldorfer Softwareentwicklers SAP. Sie war nach Barbara Kux aus dem Siemens-Vorstand die zweite Frau in der höchsten Etage eines Dax-Unternehmens. Das „Handelsblatt“ zitierte dazu einen Headhunter mit der Aussage: „Dammann ist ein gutes Beispiel dafür, dass, wenn Frauen wirklich gesucht werden, sie auch in der deutschen Wirtschaft gefunden werden können.“

Frauen können also, wenn sie wirklich wollen, und Firmen finden, wenn sie wirklich suchen. Dann ist ja alles in Ordnung. Oder? Offenbar nicht.

Die Frauenquote ist zurück in der Diskussion. Die Regierung ist so uneinig wie die Bevölkerung. Doch Bundeskanzlerin Angela Merkel hat angekündigt, mit dem Thema 2013 in den Wahlkampf ziehen zu wollen. Die EU-Justizkommissarin Viviane Reding drohte der Privatwirtschaft eine Quote für börsennotierte Unternehmen an und beschwor an diesem Wochenende die Nachteile, die männerbeherrschte deutsche Unternehmen im europäischen Ausland hätten. „Wenn sich ein deutsches Unternehmen für eine öffentliche Ausschreibung in Spanien bewerben will, dann hat das nur Aussicht auf Erfolg, wenn es die spanische Frauenquote erfüllt“, sagte sie der Zeitung „Rheinische Post“. Die Quote liegt bei 40 Prozent bis 2015. Aktuell sind es zehn Prozent. In Deutschland drei.

Angelika Dammann, heute 52, ist eine große Frau mit breitem Kreuz. Sie sitzt in einer Berliner Hotellobby in einem schwarzen Ledersessel. „In keinem Fall darf man sich ein schlechtes Gewissen einreden lassen, weil man den Pflichten einer Mutter oder einer Frau, so wie andere sie definieren, nicht nachkommt“, sagt sie. Sie lehnt sich entspannt in ihrem Sessel zurück und legt die Fingerspitzen aneinander. „Jede Frau und jedes Paar muss selbst bestimmen, wie sie leben wollen.“

Das Kind erziehen? Macht der Mann

Sie lacht, was nicht so oft vorkommt. Dabei wirft sie den Kopf ein wenig in den Nacken, so dass unter den Haaren Perlenohrringe hervorblitzen. Ihre Hände liegen nun auf dem Rock, der die langen Beine nur bis zur Hälfte des Oberschenkels bedeckt. Sehr weiblich, diese Haltung. Es ist Weltfrauentag.

Angelika Dammann ist nach Berlin gekommen um zu zeigen, wie der Weg einer Frau bis nach ganz oben aussehen kann. Wie ihr Weg aussah. Dafür ist sie einer Einladung der Mestemacher- Gruppe gefolgt, laut Eigendarstellung eine „Großbäckerei für Vollkornprodukte“. Sie ist aber nicht ans Rednerpult getreten, sondern hat sich zu den Zuschauern gesetzt. Denn die Mestemacher-Gruppe vergibt am Weltfrauentag 2012 zum sechsten Mal den „Preis für Spitzenväter“. Einen Preis, der eine väterorientiertere Familienkultur würdigt. Und einer der Ausgezeichneten ist Angelika Dammanns Ehemann.

Claus Dammann bekommt einen Ehrenpreis, weil er ein Pionier der weiblichen Gleichberechtigung im Arbeitsleben ist. Als einer der ersten deutschen Männer überhaupt blieb er Anfang der 90er Jahre zu Hause, um den Sohn aufzuziehen. Er verzichtete acht Jahre lang darauf, seinen Beruf voll auszuüben, um die vielen Umzüge seiner Frau zu begleiten.

Das Paar Dammann hat also eine Lebensform gefunden, die zu ihm passt. Sie – die Alleinverdienerin. Er – Küche und Kind. Die Dammanns haben sich nicht für eine moderne Arbeitsteilung entschieden, sondern mit vertauschten Rollen für die klassische, wenn als „modern“ die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gilt. Die gab es bei ihnen nicht.

Das weiß Angelika Dammann natürlich, und deshalb sagt sie, mit einer Quote für Vorstands- und Aufsichtsratssitze sei nicht genug getan. Es müsse sich viel mehr ändern. Frauen sollten gemeinsam mit den Männern um familienfreundliche Arbeitsbedingungen kämpfen. Wenn sie über die referiert, klingt sie, als bitte sie zum Diktat. Notieren Sie: Flexible Arbeitszeiten. Arbeiten von zu Hause. Abschied von der Präsenzkultur. Jobsharing auch in Führungspositionen.

Es sind altbekannte Forderungen. Offenbar ändert sich nichts in den Unternehmen. Es gilt weiterhin: Wer weit kommen will, muss im Büro sichtbar sein. Lange bleiben, länger bleiben, am längsten bleiben. Das schafft Chancen, weil die vergeben werden von denjenigen, die es genauso halten. Das System bewahrt und stützt sich selbst. Und schon der Begriff Frauenquote sei schwierig, sagt Angelika Dammann, weil er für die Systembewahrer bedrohlich klinge.

Dass sie ihre ersten großen Karrieresprünge in internationalen und nicht in deutschen Unternehmen gemacht habe, wird gerne bemerkt. Die Botschaft: In ausländischen Firmen ist es für Frauen leichter. Tatsächlich stellte Angelika Dammann sich in Schanghai einem reinen Frauenteam vor, als sie als Personalvorstand von SAP antrat. Nach Regierungsangaben besetzen Frauen in China fast 20 Prozent aller Vorstandsposten. Eine Quote gibt es nicht, gut ausgebildete Menschen werden in dem Boomland gebraucht, ob Mann oder Frau. In Europa hingegen scheint die Quote notwendig zu sein, damit sich etwas ändert. Norwegen beschloss 2003 als erstes Land weltweit eine Frauenquote für Aufsichtsräte, fünf Jahre später erreichten die etwa 400 börsennotierten Unternehmen Norwegens die Mindestquote von 40 Prozent. In keinem anderen europäischen Land sind die Frauen so stark vertreten.

Irgendwann sagt in der Berliner Hotellobby auch Angelika Dammann, dass die Frauenquote angesichts des Erfolgs in Norwegen vielleicht doch gar keine so schlechte Idee sei. Wieso? Sie zuckt mit den Schultern. Vielleicht, weil die meisten Frauen nicht so sind wie sie?

Sie hat die Regeln begriffen - und ist über die Regeln gestolpert

Angelika Dammann hat schnell gelernt, wie das Aufstiegsspiel funktioniert, seitdem spielt sie mit. Mittlerweile erwarte sie das auch von den Kollegen – und den Kolleginnen: eine „Ich kann das“-Haltung, keine Selbstzweifel.

Doch dieses Aufstiegsspiel bringt nur den immer selben Menschenschlag nach oben: diejenigen, die laut „Hier bin ich!“ schreien. Will man das? Und ist das gut und richtig?

Vielleicht lohnt es sich, noch mal neu zu fragen, wer mit der Frauenquote überhaupt gemeint ist. Geht es wirklich um die primären Geschlechtsmerkmale? Oder geht es auch um soziale Geschlechtsmerkmale? Um eine Quote für diejenigen, die nicht so gerne „Hier bin ich“ und „Ich kann das“ schreien – und eben meist Frauen sind? Frauen tragen ja nicht nur Absatzschuhe in die Vorstandssitzungen, sondern vor allem einen neuen Geist. Sie nach ganz oben zu befördern, lohnt sich laut einer im Auftrag des Bundesfrauenministeriums erstellten Studie vom August 2011 – vor allem für Unternehmen, die viele Frauen beschäftigen und für solche, die „ihre Produkte und Leistungen vorwiegend an private Kundinnen und Kunden verkaufen“. Weil sie Glaubwürdigkeit gewönnen.

„Ausgewogene Führungsstrukturen führen auch zu besseren wirtschaftlichen Ergebnissen. Das heißt, es gibt einen klaren Handlungsauftrag.“ Das sagte ein paar Monate davor im Deutschen Bundestag auch schon Angelika Dammann. Sie sprach dort als eine von mehreren Sachverständigen zu den 37 Mitgliedern des Rechtsausschusses. Es war eine öffentliche Anhörung, deshalb hörten viele mit, als sie sagte, dass die Einführung einer gesetzlichen Frauenquote „kein geeignetes Mittel“ sei, um Frauen in höchste Führungsgremien zu befördern. Dann sagte sie noch, dass Unternehmen und Politik vor allem die Familie fördern müssten, nicht nur Frauen. Doch das interessierte kaum noch. „Schade“, sagt sie in der Hotellobby mit einem kühlen Lächeln.

Mit dem ersten Satz war sie zur Quotengegnerin geworden. Es gibt seither Frauen, die nennen Angelika Dammann eine Verräterin. Dabei hat sie doch, wie sie sagt, Frauen gefördert während ihrer Zeit im Vorstand.

In der Welt der Chefmanager hat Angelika Dammann sich einen Ruf als Spezialistin für Personal Management erworben. Deshalb holte man sie zu SAP. Die Belegschaft des internationalen Konzerns spreche zu wenig eine Sprache, ein neuer Spirit sollte gefunden und verbreitet werden. Dammann schien dafür die Richtige zu sein. Der im Oktober 2011 verstorbene Apple-Gründer Steve Jobs hat über sie gesagt, sie habe „wilde Ideen“, sei „hungrig“ auf Neues und „tollkühn“ beim Ausprobieren.

Ob Mann oder Frau, sagt sie, jeder, der es bis ganz nach oben schaffen will, braucht einen starken Willen. Dass sie selbst diesen unbedingten Willen hat, merkte sie, als sie nach der Mittleren Reife in einem Tante-Emma-Laden in Hamburg als Mädchen für alles arbeitete. Dort wurde ihr klar, sie will mehr. Viel mehr. Sie holte das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg nach, studierte Jura – der Rest ist bekannt.

Während sie die Beine in der Berliner Hotellobby andersherum übereinanderschlägt, stellt sie klar, dass man sich am besten überhaupt nicht verunsichern lassen sollte, wenn man es weit bringen will. Erst recht nicht von Männern. „Wenn ich einen Vortrag halte, merke ich, wie Männer im Publikum oft erst abchecken: Wie sieht sie aus? Was hat sie an?, bevor sie zuhören. So ist das eben. Mir macht das nichts aus.“ In keinem Moment habe sie das Gefühl gehabt, ein Mann nehme sie fachlich nicht ernst, weil sie eine Frau sei. „Männer haben mich immer unterstützt. Weil ich sie mit meiner Arbeit überzeugt habe“, sagt sie.

Trotzdem gehört sie seit einem knappen Jahr nicht mehr zu den Dax-Vorstandsfrauen. Im Sommer 2011 hat sie SAP verlassen. Damals wurden Details aus ihrem Vertrag bekannt: Sie hatte sich Flüge im Firmenjet zusichern lassen von der Firmenzentrale in Walldorf zu ihrer Familie in Hamburg. Das war keine gute PR für ein Unternehmen, das sich gern als umweltfreundlich verkauft. Angelika Dammann wurde von manchen Wirtschaftsjournalisten daraufhin „größenwahnsinnig“ genannt. Das hätte auch einem Mann passieren können.

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