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Politik: „Frauen können Geburt nicht mehr bezahlen“ Arzt: In Griechenland fehlt es an Grundversorgung

Herr Kanakis, die Griechen sparen. Auch bei ihrer Gesundheit?

Herr Kanakis, die Griechen sparen. Auch bei ihrer Gesundheit?

Mehr und mehr Menschen bekommen nicht einmal die medizinische Grundversorgung. Mittlerweile sind wir nicht nur mit einer wirtschaftlichen Krise konfrontiert, sondern auch mit einer humanitären. So etwas kennen wir eigentlich nur von Bildern aus Afrika. Aber doch nicht in Griechenland, mitten in Europa.

Woran machen Sie das fest?

Wir haben Kinder, die hungern müssen, dehydrierte Säuglinge. Manchmal werden Kinder ohne Impfungen und Gesundheitsheft aus den Geburtskliniken entlassen. Einige Frauen können sich ja nicht einmal mehr die Geburt leisten.

Wie bitte?

Ja. Eine Frau, die keine soziale Absicherung hat, muss für die Geburt ihres Babys 700 bis 1500 Euro bezahlen, dazu kommen Impfungen und manchmal noch weitere Medikamente. Die Kinder trifft es am schlimmsten. Aber es gibt auch Ältere, die chronisch krank sind und sich keine Medikamente leisten können.

Betrifft das nur soziale Randgruppen?

Mitnichten. Früher kamen vor allem Immigranten in unsere Hilfszentren, um sich kostenlos behandeln zu lassen. Heute sind es beinahe zur Hälfte Griechen, die auf unsere Hilfe angewiesen sind. Menschen, die sich vor einem Jahr nicht einmal eingestanden, ein Problem zu haben. Zu der Schicht, die vorher schon Problemen hatte, sind Menschen hinzugekommen, die jetzt keine Arbeitslosenhilfe mehr erhalten, Menschen, die ihre Arbeit verloren oder die alle Ersparnisse aufgebraucht haben. Teilweise auch solche, die früher einmal reich waren.

Und sich nun nicht mal mehr die Versicherung leisten können?

Den Leuten rinnt das Geld weg. Ich sehe es ja an mir selbst. Ich bin Zahnarzt und habe in den vergangenen drei Jahren die Hälfte meines Einkommens verloren. Theoretisch haben alle Menschen eine soziale Absicherung, praktisch haben sie viele nicht, weil sie dafür nicht bezahlen können.

Welche Konsequenzen hat das?

Es ist abzusehen, dass die humanitäre Krise eine dauerhafte wird. Eigentlich ist das Gesundheitssystem schon zusammengebrochen. Eine Stabilisierung ist nicht in Sicht. Ich denke eher, dass es noch schlimmer werden wird. Gerade jetzt, da ein harter Winter bevorsteht und die Heizkosten doppelt so teuer geworden sind. Die Schere zwischen Arm und Reich wird größer werden, was sehr gefährlich ist. Auch die soziale Mobilität ist nicht mehr vorhanden, Kinder von armen Familien haben kaum eine Chance auf ein besseres Leben.

Wie lassen sich die Probleme lösen?

Man hört in Zusammenhang mit Griechenland immer nur etwas über die Wirtschaftskrise. Über das, was für die Menschen dahintersteckt, hört man nichts. Das muss sich ändern. Zudem muss der Staat zumindest mobilisiert werden, ein minimales garantiertes Lebensniveau der Kinder sicherzustellen. Darüber hinaus appellieren wir an die Griechen im Ausland, ihre Landsleute zu unterstützen.

Nikitas Kanakis

(45) ist Präsident

des Netzwerks

„Ärzte der Welt“.

Der Grieche arbeitet als Zahnarzt.

Das Gespräch

mit ihm führte

Katrin Schulze.

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