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Politik: Fremd im eigenen Land

SKOPJE .Monika Saveta fühlt sich fremd in der eigenen Stadt.

SKOPJE .Monika Saveta fühlt sich fremd in der eigenen Stadt.Wenn sie manchmal auf der Straße nur noch albanisch hört, ist ihr nicht mehr wohl in ihrer Haut.Das hat einerseits mit der neuen Koalitionsregierung in Skopje zu tun, die den Albanern gegenüber mehr Entgegenkommen zeigt.Einst war man es gewohnt, daß selbst in Tetovo, einer zu 80 Prozent albanischen Stadt, die wichtigen Posten mit slawischen Mazedoniern besetzt waren.Das ist heute anders."Wir fühlen uns jetzt als Minderheit im eigenen Land", klagt die 23jährige Sekretärin Monika Saveta.Doch der Regierungswechsel ist nicht der einzige Grund für ihr Unbehagen: Auch der Zustrom vertriebener Albaner aus dem Kosovo reißt nicht ab.Die Bevölkerung ist um zehn Prozent gewachsen - in wenigen Wochen.

Die Neuankömmlinge fahren Auto ohne gültige Papiere.Ein Freund von Monika Saveta wurde abends schon mit einem Messer bedroht.Wenn man sich beim inzwischen albanischen Polizeichef beklagt, schimpft sie, stößt man auf taube Ohren.Fast jeder könnte die Klageliste fortführen.Die slawisch-mazedonische Jugend, sagt Monika Saveta, geht abends ohnehin nicht mehr aus.Selbst am Boulevard sind die Reviere klar geteilt.In den dicht besetzten albanischen Cafés herrscht gute Stimmung und bei den Mazedoniern gähnende Leere, die Gäste machen lange Gesichter.Im städtischen Café am Hauptplatz schimpft die Altherrenrunde, weil der neue albanische Direktor des Kulturhauses angeblich den Schachklub zugesperrt hat.Man redet von früher, als Mazedonier und Albaner im Fußballclub noch gemeinsam spielten.Oder schwärmt von den Zeiten, als noch die slawischen Mazedonier allein das Sagen hatten.

Heute mahnen die slawisch-mazedonischen Eltern ihre Kinder, eifrig zu lernen.So könnte eines Tages ein Job im Ausland möglich sein.Ihre Nachbarn hätten die Wohnung schon verkauft und seien nach Amerika ausgewandert, sagt Monika Saveta.Und das ist kein Einzelfall: "Wir haben hier keine Zukunft mehr", ist sie überzeugt.Die Balance zwischen den Volksgruppen im Vielvölkerstaat droht aus dem Gleichgewicht zu geraten.Offiziell ist zwar nur knapp jeder dritte Bürger ein Albaner.Doch im Westen, entlang der Grenze zu Albanien und dem Kosovo, sind Mazedoniens Albaner schon heute weitgehend unter sich.Selbst in der Hauptstadt Skopje scheint sich schleichend eine ethnische Teilung durchzusetzen.Mazedonier ziehen vom linken, traditionell albanischen Ufer des Vardar ans rechte.

Die neue Regierung in Skopje macht auf Selbstvertrauen, doch sie hat vor allem Angst.Der Krieg hat nicht nur die Flüchtlinge ins Land gebracht, sondern auch Mazedonien vom jugoslawischen Markt und den Transitrouten Richtung Norden abgeschnitten.Das Frühgemüse verrottet auf den Feldern, weil der Umweg über Bulgarien und Rumänien die Produkte so verteuern würde, daß sie nicht mehr konkurrenzfähig wären.Ohne Ernte und Verkauf aber fehlt den Bauern das Geld für Saatgut.Fast jede Woche schließt eine Fabrik, weil Rohstoffe fehlen.

Für Mazedonien ist es bereits das achte Jahr der Krise, das dritte Mal als Embargo-Opfer: Nach 1992 war der Staat einer doppelten Blockade ausgesetzt.Im Süden mauerte Griechenland, das den Namen des Staates nicht akzeptieren wollte.Im Norden mußte sich Mazedonien schon während des Bosnienkrieges ans UN-Embargo gegen Jugoslawien halten.Jetzt haben Nato-Bomben die Bahnlinie von Skopje über Nis nach Belgrad und weiter Richtung Budapest unterbrochen.Nach Bulgarien gibt es keine Bahnverbindung und nur schlechte Straßen.

Mazedoniens Transportgewerbe klagt über Extrakosten von 22 Millionen Dollar im Monat.Die Wirtschaft war auf den jugoslawischen Markt ausgerichtet.Der Chemiekonzern Ohis etwa bekam Rohstoffe von dort und lieferte dafür Waschmittel.Die Skopska-Bierfabrik lieferte Getränke nach Kosovo und ganz Südserbien.Die serbische Autofabrik Zastava hatte ihre Zulieferer in Mazedonien: für Gurte, Fenster, Batterien und Kugellager.

Dabei hatte vor einem knappen Jahr alles anders ausgesehen.Die postkommunistische Regierung wurde abgewählt.Die neue Mannschaft trat nicht zuletzt mit dem Versprechen an, ausländische Investitionen ins Land zu holen und Zehntausende Arbeitsplätze zu schaffen.Das Wirtschaftswunder für "eine Schweiz auf dem Balkan" sollte mit Taiwan als großzügigem Spender erreicht werden.Skopje setzte sogar die Beziehungen zu Festlandchina aufs Spiel.Vasil Topurkovski, Koalitionspartner und Promoter der Taiwan-Connection, reiste sieben Mal nach Asien, kam aber immer mit leeren Händen zurück.Für Investitionen ist die Zeit noch nicht reif, gibt Taiwans Botschafter Cheng höflich zu verstehen.

Der einzige, der die Katastrophe kommen sah, war der greise Präsident Gligorov.Er plante schon vor einem Jahr den "Korridor".Durch den hätten die Flüchtlinge direkt ins "Mutterland" Albanien geschleust werden sollen.Doch der Plan blieb Papier, und heute zweifelt kaum jemand mehr daran, daß die Flüchtlinge Dauergäste sein werden.In Mazedonien mit seinen zwei Millionen Einwohnern gibt es 300 000 Arbeitslose, 300 000 Sozialfälle und 300 000 Flüchtlinge: "Das sind die Dimensionen der Katastrophe", mahnt Vladimir Milcin, Dramaturg und Leiter der Soros-Stiftung in Skopje.

Zwar pilgert fast jeden Tag Prominenz von Bianca Jagger bis Hillary Clinton durch die Lager.Doch kaum sind die illustren Gäste weg, kehrt der wenig rosige Alltag wieder ein.UN-Flüchtlingshilfswerk, mazedonische Regierung und andere Organisationen schieben sich gern gegenseitig die Verantwortung zu.Knapp bei Kasse und überfordert sind alle.Die Lagertore werden inzwischen von der Polizei überwacht.Die Korruption treibt Blüten.Gegen Geld ist alles möglich.

Wer zahlt, darf das Lager verlassen und bei Freunden oder Verwandten unterkommen.Andere sehen die Flüchtlingscamps als Tor zum Westen.Sie zahlen, um ins Lager und auf eine der Fluglisten Richtung Deutschland, Kanada oder USA zu gelangen.Die Flüchtlingscamps im Lande sind wie Zeitbomben, die jederzeit hochgehen können.Hilfswerke warnen vor dem Winter.Doch schon die mazedonische Sonne könnte den zündenden Funken liefern.Mahner Vladimir Milcin rechnet im Sommer mit Unruhen zwischen Flüchtlingen und Polizei.Selbst den Bürgerkrieg im Balkanstaat will er nicht ausschließen.

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