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Kann Friedrich Merz auch Kanzler?

© imago/Jens Schicke/imago/Jens Schicke

Zweifel an Friedrich Merz: Ein Kanzler ist kein Vorstandschef 

Bekommt er eine Mehrheit für sein historisches Schuldenpaket hinter sich? Gelingt die Regierungsbildung? Zwei Wochen nach der Bundestagswahl muss Friedrich Merz enorme Fliehkräfte ausgleichen.

Daniel Friedrich Sturm
Ein Kommentar von Daniel Friedrich Sturm

Stand:

Wie steinig der Weg ins Amt des Bundeskanzlers ist und wie getrübt die Sicht auf das Ziel sein kann, das erlebt Friedrich Merz in diesen Tagen. Erst acht Kanzler und eine Kanzlerin haben dieses Land seit 1949 regiert. Es in das mächtigste politische Amt in Deutschland zu schaffen, ist eine extreme Leistung – physisch und psychisch.

Der Weg, den Friedrich Merz seit der Bundestagswahl zurücklegen musste und muss, erweist sich als weitaus beschwerlicher, als er es womöglich vor dem 23. Februar vermutet hat. Und Merz’ Gratwanderung in die Berliner Willy-Brandt-Straße 1 ist noch lange nicht zu Ende. Es warten einige gefährliche Abgründe.

Merz’ Marschgepäck wiegt schwer. Drei Wackersteine schleppt er mit sich. Da ist erstens das Wahlergebnis der CDU/CSU. Es war mit 28,5 Prozent miserabel und lag unter den parteiinternen Erwartungen. Nur einmal zuvor in ihrer Geschichte, nämlich 2021, schnitt die Union schlechter ab.

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Neulich noch hatten Unionspolitiker 35 Prozent als Zielmarke genannt oder gar über eine absolute Mehrheit fantasiert. Eine selbstkritische Wahlanalyse hat die Union, wie üblich, vertagt. Das eigene Abschneiden und das Wahldebakel der SPD ließ Merz nur eine Wahl: Schwarz-Rot. Selbst diese Konstellation kann, neben Rekord-AfD und starken Linken, keine Zwei-Drittel-Mehrheit im künftigen Bundestag aufbieten.

Schwer trägt Merz auch an den von ihm gebrochenen Wahlversprechen. Mit ihnen versucht er, die gerupfte und verunsicherte Sozialdemokratie zu umgarnen, unter Hilfe Markus Söders. Die Bereitschaft, für Investitionen eine halbe Billion Schulden aufzunehmen, stammt – kein Witz – aus Saskia Eskens Bewerbung um den SPD-Vorsitz 2019. Nun also betreibt Merz klassisch sozialdemokratisches deficit spending.

Seine Bereitschaft, die Schuldenbremse zu lockern, hatte Merz zwar vor der Wahl gezeigt, stets aber mit dem Hinweis, zunächst seien Reformen, Bürokratieabbau und vor allem Einsparungen nötig. Davon ist im Sondierungspapier von CDU, CSU und SPD keine Rede. Merz, noch eben der große Reformer, der Mann, der aufräumen wollte, steht seit dem Wochenende für Klientelpolitik per Gießkanne. So viel CSU und SPD war selten.

Und dann macht es sich drittens der Unions-Kanzlerkandidat selbst schwer: Bei allem Entgegenkommen gegenüber der SPD und neben all den Reisen zu Emmanuel Macron oder Ursula von der Leyen hat Merz die Grünen zu lange vernachlässigt. Er hielt es offenbar für einen Selbstläufer, dass sie bei den Änderungen des Grundgesetzes mitmachen, weil sie doch stets für eine bessere Verteidigung geworben haben.

Nach den bodenlosen Attacken der CSU auf Robert Habeck und Co. im Wahlkampf und beim Politischen Aschermittwoch hat Merz den Unmut der Grünen nicht gesehen. Dass Union und SPD in ihrem elfseitigen Sondierungspapier nicht einmal das Wort „Klima“ erwähnten, mussten die entschiedensten Verfechter der Klimapolitik als Provokation auffassen.

Zu Recht befürchten die Grünen, dass Investitionen aus dem Kernhaushalt in das 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen verschoben werden, um im Gegenzug Bauern, Pendler und Mütter zu beschenken. Das hätte Merz erwarten können. Er übersah wohl auch, dass die geschrumpften 11,6-Prozent-Grünen gerade von der Regierung in die Opposition wechseln, es dort Machtkämpfe gibt und kein strategisches Zentrum mehr. Das erfordert Fingerspitzengefühl und, ja, politische Konzessionen.

Ein Kanzler muss Kompromisse ausloten

Die Grünen-Fraktionsführung kurz vor einem öffentlichen Statement nur per Mailbox-Nachricht über die Sondierungen zu informieren war, diplomatisch formuliert, unklug. Ein Kanzler muss Kompromisse ausloten, herbeiführen, im Zweifel mit extremer Geduld. Er muss sammeln und führen, nicht nur führen. Ein Kanzler ist kein Vorstandschef.

Enorme Fliehkräfte zeigen sich nun bei Union, SPD und Grünen. Die politische Lage ist hochgradig instabil. Merz’ Ungeschicklichkeiten häufen sich. Das kann einem Sorgen machen. Will da einer Kanzler werden, der es gar nicht kann? Angesichts der dramatischen Weltlage kann man Friedrich Merz nur eine steile Lernkurve wünschen. Das Land braucht einen starken Regierungschef.

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