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Politik: Für Berlin mit halber Kraft

Von Gerd Appenzeller

Um 13 Uhr 10 ist Klaus Wowereit gestern seiner parlamentarischen Pflicht zur Abgabe einer Regierungserklärung im Abgeordnetenhaus nachgekommen. Ihm folgte, nachdem er 15 Seiten und 35 Minuten später seine Rede beendet hatte, Friedbert Pflüger. Der sprach, nach Stichworten, 30 Minuten. Die Bilanz nach den Ausführungen des Regierenden Bürgermeisters und des Führers der größten Oppositionspartei: Franz Münteferings Erkenntnis, wonach Opposition Mist sei, kann offenbar auch für die andere Seite gelten. Regieren, zumindest in Berlin, scheint ein freudloses Routinegeschäft, die parlamentarische Minderheit vertreten zu dürfen, hingegen ausgesprochen anregend zu sein.

Nicht, dass man Klaus Wowereit vorwerfen dürfte, er habe nicht alle anhängigen Themen bedient. Da kam, bis auf das Wort Gammelfleisch, zumindest in knappen Sätzen jegliches irgendwie vor, was die Menschen aufregt. Aber der Regierungschef des Landes Berlins formulierte das alles in einer seltsam substanzlosen, fast schon theoretischen Weise, als überfliege er die Stadt in großer Höhe und schildere, was er sieht, aus sicherer Entfernung – von da, wo Berlin weder stinkt noch qualmt, noch laut und ätzend ist. Diese Rede war weder vorwärtsdrängend noch spannend, geschweige denn aufregend.

Temperament statt Phlegma zeigte hingegen Christdemokrat Pflüger. Nun ist es zwar allemal leichter, eine Regierungserklärung polemisch gekonnt auseinanderzunehmen, als sie, in politischer Verantwortung, klug zusammenzusetzen. Aber wenn der eine, Wowereit, einen schlechten und der andere, Pflüger, offensichtlich einen guten Tag erwischt hat, dann fallen die Haltungsnoten eben so extrem auseinander wie gestern.

Jetzt könnte man sagen: Was soll’s. Entscheidend sind die kommenden fünf Jahre, und die Wirtschaft läuft endlich einmal, wie vor kurzem die „Berlin Partner GmbH“ stolz das Jahr 2006 bilanzieren konnte. Die sowohl öffentlich als auch privat geförderte Organisation kümmert sich um ansiedlungswillige Unternehmen. Der Wermutstropfen: Vieles wächst in Berlin, im Vergleich zum Rest der Bundesrepublik, nur mit halber Kraft. Vor allem die Drehscheibe für die Geschäfte mit Osteuropa steht nicht in Berlin, sondern in Wien, weil man dort zehn Jahre früher aufgewacht ist. Das kann keiner Wowereit vorwerfen. Dieses Chancenverschlafen lag vor seiner Zeit, und der Sozialdemokrat hat mit seiner ersten rot-roten Koalition von 2001 an für die Sanierung der Stadt wirklich Vorbildliches geleistet hat. Aber „Weiter so“ reicht einfach nicht mehr.

Gestern konnte man im Abgeordnetenhaus erkennen, dass die Fortführung der SPD-PDS-Koalition für den Regierungschef bequem, für die Stadt allerdings fatal ist, zumal sich Wowereit mit seiner pampigen Art inzwischen im Bund zwischen alle Stühle setzt. Wie verheerend sich die Dinge zum Schlechten gewandelt haben, zeigt ein Absatz aus Wowereits erster Regierungserklärung vom 28. Juni 2001. Darin heißt es: „Aus meinen Gesprächen mit den anderen Ministerpräsidenten habe ich folgenden Eindruck mitgenommen: Es gibt eine breite, sehr aufgeschlossene Haltung der Länder und der Bundesregierung gegenüber Berlin. Unsere Probleme werden verstanden. Bei unseren Bemühungen, die Stadt auf eigene Füße zu stellen, können wir nicht nur auf Verständnis setzen, sondern uns auf die Unterstützung verlassen.“

Heute würde jeder über diese Sätze lachen.

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