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Politik: Für den Europäischen Gerichtshof ist der verständige Durchschnittsverbraucher der Maßstab

Bei der Bewertung vermeintlich irreführender Werbung ist der Maßstab eines "verständigen Durchschnittsverbrauchers" zu Grunde zu legen. Das hat am Donnerstag der Europäische Gerichtshof bekräftigt.

Bei der Bewertung vermeintlich irreführender Werbung ist der Maßstab eines "verständigen Durchschnittsverbrauchers" zu Grunde zu legen. Das hat am Donnerstag der Europäische Gerichtshof bekräftigt. Damit rückten die Luxemburger Richter "ein Stück weit vom überzogenen Verbraucherschutz in Deutschland ab", der sich früher am gänzlich unbedarften Käufer ausgericht habe, sagte Volker Nickel vom Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft in Bonn. Die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände (AgV) verwahrte sich gegen die "Mär vom kleinkarierten deutschen Verbraucherschutz". Das Luxemburger Urteil sei "ohne große Relevanz", gebe den deutschen Gerichten aber "mehr Luft", bei ihrer Einschätzung von jener anderer EU-Staaten abzuweichen, sagte AgV-Jurist Tobias Brönneke.

Vor dem obersten europäischen Gericht stritten die Kosmetik-Konzerne Lancaster und Esttée Lauder um die Verwendung des Wortes "Lifting" für eine straffende Gesichtscreme. Lauder und auch deutsche Gerichte hatten argumentiert, das Wort sei irreführend: Verbraucherinnen könnten der Lancaster-Creme ähnlich wie einer Operation eine dauerhafte Wirkung beimessen, die sie aber unstreitig nicht habe. Nach dem Luxemburger Urteil sollen die Gerichte der EU-Staaten solche Streitigkeiten selbst entscheiden. Dabei sei auf "die mutmaßliche Erwartung eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers" abzustellen.

Nach deutschem Wettbewerbsrecht hatten die hiesigen Gerichte eine Faustregel entwickelt, wonach schon dann von einer Irreführung auszugehen ist, wenn zehn bis 15 Prozent der Verbraucher einen Begriff missverstehen könnten. Nach Angaben der Werbewirtschaft halten die Gerichte teilweise bis heute daran fest. Das mit dem Lifting-Streit befasste Landgericht Köln wollte nun vom Europäischen Gerichtshof wissen, ob sich dies angesichts des schon seit 1995 von den Luxemburger Richtern formulierten Leitbildes vom "verständigen Durchschnittsverbraucher" halten lässt.

Nach dem neuen Urteil bleibt es Sache der nationalen Gerichte, "zu bestimmen, welcher Prozentsatz der Verbraucher mindestens durch diese Aussage irregeführt werden muss", um ein Verbot zu rechtfertigen. Für die Werbewirtschaft sagte Nickel, die Irrtumsquote von zehn bis 15 Prozent stehe im Widerspruch zum Bild des Durchschnittsverbrauchers. Dagegen meinte Verbraucherschützer Brönneke, Quoten seien je nach Fall unterschiedlich zu handhaben.

Im konkreten Fall meinten die Luxemburger Richter, auf den ersten Blick spreche wenig dafür, dass ein Durchschnittsverbraucher das Wort "Lifting" falsch verstehe. Allerdings könnten auch "soziale, kulturelle oder sprachliche Eigenheiten" ein Verbot rechtfertigen. Damit sei "klar, dass deutsche Gerichte weiterhin zugunsten der Verbraucher entscheiden können, auch wenn in anderen EU-Mitgliedstaaten andere Maßstäbe angelegt werden", erklärte die AgV.

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