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G8: "Keine doppelten Standards"

Am Dienstag beginnt in Moskau ein zweitägiges Forum der russischen Opposition als Gegenveranstaltung zum G8-Gipfel, der am kommenden Wochenende in St. Petersburg stattfindet. Ein Interview mit dem Ko-Organisator Gary Kasparow.

Moskau - Einer der Organisatoren der Gegenkonferenz ist Gary Kasparow, der bis heute als einer der weltbesten Schachspieler gilt. Vor einem Jahr beendete der 43-Jährige seine Schachkarriere und engagiert sich seitdem zunehmend politisch. Mit Kasparow sprach ddp-Korrespondent André Spangenberg. Das Interview wurde ins Deutsche übersetzt.

Parallel zum G8-Gipfel organisieren Sie ein Oppositionstreffen unter dem Motto «Das andere Russland». Was genau ist das Ziel dieser Konferenz in Moskau?

Zu einer Zeit, in der sich der Westen auf ein von offizieller Seite veranstaltetes Ereignis konzentriert, wollen wir das «andere Russland» zeigen. Denn wir wissen, dass Präsident Putin dieses G8-Treffen nutzen wird, seine Agenda voranzutreiben. Deshalb ist es für uns wichtig, der Welt das «wahre Russland» zu zeigen - ein Russland, das nicht durch Putins Brille gesehen wird.

Was meinen Sie damit, wenn Sie von dem «wahren Russland» sprechen?

Wenn Sie sich das Land ansehen mit seinen Problemen, die täglichen Erfahrungen der Menschen, die Umwelt, soziale Probleme, Bildungsfragen, der Krieg im Nordkaukasus, die Verletzung der Menschenrechte, politische Gefangene - all das ist Realität. Diese wird aber im staatlichen Fernsehen ausgeblendet, weil der Kreml die Kontrolle über alle Massenmedien hat. Und auch von den Staats- und Regierungschefs des Westens werden die Probleme Russlands ignoriert.

Nun findet bald der G8-Gipfel statt und Putin sagt, Russland sei ein Teil der westlichen Welt. Inwieweit ist Russland heute bereits Teil des demokratischen Westens?

Russland erfüllt weder die politischen Anforderungen an eine Demokratie noch an eine Marktwirtschaft. Sie können Russland nennen, wie Sie wollen, aber in Wirklichkeit ist Russland heute ein Polizeistaat, der sich mit den jüngsten Gesetzen immer mehr in eine Diktatur verwandelt. Nunmehr kann jede Kritik an offizieller Seite vom russischen Gerichtshof verfolgt werden, und der wird mittlerweile ebenfalls vom Kreml kontrolliert.

Glauben Sie, dass die westliche Staatengemeinschaft bei Russland und seinem Kampf gegen Terroristen im Inland ein Auge zudrückt, weil Russland sich am internationalen Anti-Terror-Kampf beteiligt?

Wir beschäftigen uns mit unseren eigenen Problemen. Deshalb ist «Das andere Russland» eine Konferenz über Russland. Aber unsere Kritik an den westlichen Führungen ist, dass sie doppelte Standards hinnehmen. Wenn sie die Probleme mit der Demokratie in Russland ignorieren, dann können sie auch nicht über Demokratie in Afghanistan reden. Was wir nicht akzeptieren können, ist, dass manche sagen, im Irak oder Afghanistan wird die Demokratie eingehalten, aber um Russland kümmern sich diese Leute nicht. Doppelte Standards sind sehr gefährlich für die Demokratie, weil sie großen Schaden in der öffentlichen Meinung anrichten.

Was heißt das konkret für die deutsch-russischen Beziehungen? Nimmt nicht der Russlandkoordinator der Bundesregierung, Andreas Schockenhoff, an Ihrer Moskauer Konferenz teil?

Ja, er wird teilnehmen.

Was erwarten Sie von ihm, was erwarten Sie von Deutschland?

Also erst einmal, jede Veränderung in der russischen Innenpolitik ist Ergebnis unseres eigenen Kampfes. Doch ist es nicht gut, dass die westlichen Führungen Putin in seinem Kampf gegen die Demokratie in Russland unterstützen, indem sie ihn als demokratischen Führer anerkennen. Das ist sehr schlecht für die Demokratie. Auch, wenn ein ehemaliger deutscher Kanzler sich um seine finanzielle Zukunft sorgt, eine Stellung annimmt und damit aus Sicht der russischen Menschen für Putin arbeitet.

Arbeitet er wirklich für Putin?

Na gut, für Gasprom. Aber in den Augen der Russen scheint es so, dass jeder korrupt ist. Was Putin jetzt versucht, ist, vertrauensbildende Begriffe wie die von freien und fairen Wahlen, Offenheit und politischer Zuverlässigkeit zu zerstören. Ja, es gibt Korruption in der Welt, auch bei uns. Wir haben genauso Probleme damit wie die Amerikaner. Aber der Unterschied ist doch, keinen stört es. Bei Russland geht es nur um Geld und Einfluss - und man vergisst seine Prinzipien. Deshalb erwarten wir, dass gerade die politisch Verantwortlichen im Westen zu ihren Prinzipien stehen. Und wenn sie zum G8-Gipfel nach St. Petersburg kommen, müssen sie deutlich sagen, dass Russland durch seine Verletzung der Menschenrechte und der Verfassungsrechte nicht ausreichend kooperiert.

Sie können doch kaum ein Interesse daran haben, dass die politischen Beziehungen zu Russland unterbrochen werden?

Die Frage ist doch, wie politische und wirtschaftliche Beziehungen gestaltet werden. Deutschland beispielsweise betreibt Handel mit China, doch würde keiner bei ihnen sagen, die chinesischen Führer seien Demokraten. Natürlich bestehen gegenseitige Abhängigkeiten in der Welt, und Sie können politische nicht von ökonomischen Angelegenheiten trennen. Jedoch dürfen politische Prinzipien nicht für wirtschaftliche Vorteile verkauft werden.

Eine Frage an Sie als Schachweltmeister. Wo sehen Sie Gemeinsamkeiten zwischen dem königlichen Spiel und der Politik oder wo gibt es für Sie in Russland die größten Unterschiede?

Ganz klar: Im Schach gibt es feste Regeln. In Russland hingegen gibt es momentan nur eine Regel - nämlich dass die Regierung die Regeln jederzeit so ändern kann, wie sie es möchte. Ich habe vom Schachspiel gelernt, dass man ein Ziel verfolgen muss, dafür seine Ressourcen plant und eine Strategie entwickelt, die äußerst zuverlässig und effizient ist. Heute sind unsere Ressourcen als Opposition begrenzt und die beste Strategie für uns ist, einen tagtäglichen Kampf ums Überleben zu führen. Und wir überleben und wir weiten unseren Einfluss aus. Da wir keinen Zugang zu den Massenmedien haben, wollen wir mit der Konferenz unsere Botschaft einem größeren Publikum nahe bringen. Unsere einzige Hoffnung ist eine geeinte Opposition.

Glauben Sie, dass die deutsche Bundeskanzlerin Ihnen eine gute Verbündete in dem Bestreben um mehr Demokratie sein kann?

Wir sehen schon, dass Frau Merkel in ihren Aktionen eingegrenzt ist durch ein Auswärtiges Amt, das von einem Schröder-Mann geleitet wird, sowie von großen Unternehmen, die sich nicht um politische Standards oder Prinzipien scheren, sondern gute Geschäfte mit Putin machen wollen. Zwischen diesen beiden großen Kräften kann Kanzlerin Merkel wenig ausrichten. Aber bei allem Verständnis für Merkels innenpolitische Probleme oder Bushs innere Probleme haben sie als Staats- und Regierungschef der freien Welt die Verantwortung dafür, dass die Ideen und die Prinzipien der Demokratie nicht durch kurzfristige ökonomische Interessen aufs Spiel gesetzt werden. (Das Gespräch führte André Spangenberg, ddp)

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