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Abdul Hakim Ghoga hat sich während der letzten sechs Jahre in Benghasi als Verteidiger politischer Gefangener einen Namen gemacht. Jetzt ist er Sprecher des neuen Nationalrats für den Osten Libyens.

© Katharina Eglau

Gaddafi-Gegner: Mit Beharrlichkeit zum Ziel

Das neue Gesicht der Revolution: Der Anwalt Abdul Hakim Ghoga aus Benghasi ist zum wichtigsten Gegenspieler Gaddafis geworden.

Nur für einen Augenblick steckt Abdul Hakim Ghoga seinen Kopf aus der Tür. Der Rechtsanwalt aus Benghasi ist das neue Gesicht der Revolution und inzwischen der wichtigste Gegenspieler des libyschen Staatschefs Muammar al Gaddafi. Er steht an der Spitze des vor vier Tagen gegründeten Nationalen Übergangsrates, den die aufständischen Städte Libyens gebildet haben. Seit den frühen Morgenstunden tagt das Gremium auch heute wieder im Justizpalast von Benghasi. Als provisorische Übergangsregierung lenkt es die Geschicke im Osten des Landes. Bis zum Abend gönnt sich der Kreis kaum eine Minute Pause – vor allem die Angst vor militärischen Gegenangriffen des Regimes macht der neuen Führung Sorgen. Bislang lehnt ihr Sprecher Ghoga jedoch jede ausländische Intervention strikt ab.

Der eloquente Rechtsanwalt hat sich während der letzten sechs Jahre in Benghasi einen Namen gemacht als Vorsitzender der Anwaltskammer und als Verteidiger politischer Gefangener. Von den Machthabern ließ er sich nie den Mund verbieten, was ihm in der Stadt Ansehen und Respekt verschaffte – sogar bei lokalen Regimegrößen. Mitanwälte schildern ihn als integren und ehrlichen Mann mit großem Charisma. Im Umgang mit Gaddafis Regime habe er sich nie kompromittiert, sagen sie. Und sie schätzen ihn als politischen Vordenker, der Perspektiven für Libyens Weg in eine demokratische Zukunft entwickeln kann.

Dabei ist es gar nicht so lange her, dass sich Ghoga und der Despot Gaddafi zum ersten Mal begegneten. Elf Tage vor Beginn des Aufstands, am 6. Februar, ließ der Diktator ihn abends zusammen mit drei Juristenkollegen aus Benghasi in sein Zelt in Tripolis holen. Die Flugtickets allerdings mussten alle aus eigener Tasche bezahlen. Der tunesische Despot Ben Ali war zu diesem Zeitpunkt bereits im saudischen Exil, der ägyptische Staatschef Hosni Mubarak wehrte sich noch gegen seinen Sturz. „Die Diener reichten Kamelmilch und grünen Tee – dann erschien Gaddafi mit seiner Entourage“, erinnert sich der junge Anwalt Medhi Kashbur. Sieben Sperren musste die Gruppe auf dem Weg zu Gaddafis „Fünf-Sterne-Zelt“ passieren, das zusätzlich von drei Zäunen gesichert im Nasser-Wald nahe der Flughafenstraße von Tripolis liegt. Fünf offene Feuerstellen hat Gaddafis luftige Wohnstätte, überall stehen Telefone und Computer herum.

90 Minuten dauerte die merkwürdige Audienz bei dem Despoten, der flankiert war von seinem engsten Getreuen Abdullah Sanussi. „Ihr seid jetzt also auch mit den Facebook-Kids zusammen“, eröffnete der Diktator herablassend das Gespräch und verlor sich sofort in einen zwanzigminütigen Monolog über die Rolle der Volksräte in der „Großen Sozialistischen libysch-arabischen Volksrepublik“. Ben Ali und Mubarak hätten ihr Schicksal verdient, weil sie nicht auf ihr Volk hörten und ihre Söhne als Nachfolger durchsetzen wollten, salbaderte er. „Sagt das den Menschen, erklärt ihnen das“, redete er auf seine Besucher ein.

Doch die ließen sich nicht ablenken. Kühl forderten sie Pressefreiheit, Meinungsfreiheit und eine Verfassung. Die junge Generation wolle stärker einbezogen werden in die Entwicklung ihres Landes. Sie brauche Wohnungen, eine gute Ausbildung und Arbeitsplätze. Gaddafi reagierte verdutzt. Anders als sonst üblich habe er nicht ständig arrogant in die Luft gestarrt, sondern intensiv zugehört. Trotzdem wischte er ihre Forderungen am Ende brüsk vom Tisch. „Alles, was das Volk braucht, ist Essen und Trinken“, raunzte er. Nach anderthalb Stunden entließ der selbst ernannte „Bruder Führer“ das Quartett aus Benghasi mit leeren Händen. Schweigend ließen sie sich von einem der Fahrer ins Stadtzentrum kutschieren und an einem kleinen Restaurant absetzen. „Dort haben wir beschlossen, den 17. Februar zum ,Tag des Zorns' auszurufen.“ Damals begann der Aufstand in Libyen.

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