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Einige Politiker haben Gaddafi bereits die Gefolgschaft aufgekündigt, das Militär aber gehorcht ihm noch - und feuert auf Demonstranten.

© dpa

Gaddafi-Regime: Sieg – oder Untergang

So wie die Herrscher in Tunesien oder Ägypten wollen die Gaddafis nicht enden. Jetzt gab ein Sohn der libyschen Herrscherfamilie die Zielrichtung vor: Man werde kämpfen bis zur letzten Patrone

Im Nordwesten beginnt das kleine Tunesien, dessen Regent von seinem Volk hinweggefegt wurde, im Osten erstreckt sich auf gut 1000 Kilometern Länge die schnurgerade Grenze zu Ägypten, dessen Regent von seinem Volk hinweggefegt wurde. Und dazwischen erhebt via Fernsehen der Sohn des Regenten die Stimme – und droht dem Volk.

„Wir werden das Land nicht irgendwelchen Schlägerbanden überlassen“, verkündete in der Nacht zu Montag Saif al Islam al Gaddafi, der älteste Sohn aus zweiter Ehe von Muammar al Gaddafi. Der Armee gehe es gut, fuhr er fort, die werde eine große Rolle spielen, wenn es um die Erhaltung der Sicherheit des Landes geht; er sagte: „Koste es, was es wolle.“ Bis zur letzten Patrone werde man kämpfen, es werde ein Blutbad geben. Die Fronten zwischen dem Regime in Tripolis und den Gegnern sind damit geklärt. Es gibt keine Verhandlungen, es gibt keinen Mittler, es gibt nur Sieg oder Untergang.

Und dann begann der Montag doch wieder mit Protesten hunderter unerschrockener Libyer gegen die Regierung.

In der Hauptstadt setzte eine wütende Menge das staatliche Radio- und Fernsehgebäude sowie mehrere Ministerien, Polizeistationen und die Zentrale des sogenannten Revolutionären Komitees in Brand. Zahlreiche Banken und öffentliche Gebäude wurden geplündert, die an allen Straßenecken stehenden Propaganda-Plakate des „Bruder Führer“, wie Muammar al Gaddafi sich nennen lässt, zerstört. Soldaten schossen mit Maschinengewehren und Artillerie auf die Demonstranten. Im Hafen von Tripolis liefen am Morgen vier libysche Kriegsschiffe ein. Nach Angaben von lokalen und internationalen Menschenrechtsorganisationen sind seit Mitte vergangener Woche mindestens 400 Menschen gestorben, wahrscheinlich jedoch wesentlich mehr. Allein in Tripolis gab es nach Augenzeugenberichten bis zum Nachmittag mehr als 60 Opfer.

Die Führung der Regimegegner rief die Menschen in Tripolis und Umgebung zu einem Million-Menschen-Marsch auf, um am Abend zu der schwer bewachten Militärbasis Bab al Azizia zu gehen, wo sich Muammar al Gaddafi aufhalten soll. Auf dem Grünen Platz im Zentrum der Hauptstadt skandierte eine aufgebrachte Menge „Komm raus du Feigling, zeig dich, wenn du ein Mann bist.“

Die TV-Ansprache des Sohns, die einschüchtern sollte, hatte offenbar Wut entzündet – und Mut. Eine Stadt nach der anderen entgleitet der Kontrolle von Polizei und Armee. Auf der Facebook-Webseite der Aufständischen wird die Ansprache von Gaddafi junior am Montag mit den Worten kommentiert: „Du Glatzkopf, du Lügner, das libysche Volk hat keine Angst.“

„Wir brauchen kein Brot, wir haben genug davon“, schilderte ein Einwohner aus der Hafenstadt Dernah die Stimmung unter den Protestierenden. „Wir wollen Demokratie essen. Wir wollen Freiheit trinken.“

In Bengasi berichtete der Chef der Intensivstation des Al-Jalae-Krankenhauses, allein am Sonntagnachmittag seien 50 Leichen mit Schusswunden eingeliefert worden. Mehr als 200 Menschen seien verletzt worden, die Hälfte von ihnen schwebe noch in Lebensgefahr. Soldaten einer im Stadtzentrum stationierten Eliteeinheit hatten zuvor mit Maschinengewehren und Panzerfäusten das Feuer auf einen Trauerzug eröffnet.

Steht das Regime von Muammar al Gaddafi vor dem Ende? Weniger als eine Woche nach dem ersten „Tag des Zorns“ am Donnerstag haben die Unruhen jetzt auch Tripolis erfasst. Alle anderen Städte des Landes befinden sich bereits in den Händen der Aufständischen, neben der Hafenstadt Bengasi auch Sirte, wo Machthaber Gaddafi normalerweise in seinem Zelt residiert. Ganze Truppenteile haben sich den Demonstranten angeschlossen. Mitglieder der Regierung sollen nach Angaben libyscher Diplomaten von Gaddafi abgefallen sein.

Justizminister Mustafa Abdel-Jalil legte sein Amt aus Protest gegen das Morden an den Demonstranten nieder. Der Botschafter Libyens bei der Arabischen Liga in Kairo erklärte, er schließe sich den Aufständischen an. Aus der Grenzstadt zu Tunesien, Al Zawiya, vertrieben die Bewohner die gesamte Polizei. In anderen Städten feierten die Menschen bereits das Ende des Gaddafi-Regimes, der sich am Montag aber offenbar noch innerhalb des Landes aufhielt. Andere Gerüchte kündeten davon, dass der seit 42 Jahren regierende Machthaber sich inzwischen nach Venezuela abgesetzt habe.

Zahlreiche Staaten, darunter Österreich, die Türkei, Italien und Russland, begannen, ihre Landsleute aus Libyen zu holen. Schon um 10 Uhr 33 forderte Frankreichs Europaminister alle Franzosen auf, das Land zu verlassen. Ausländische Firmen wie BP oder Siemens folgten und kündigten an, ihre Mitarbeiter aus dem Land abzuziehen. Am frühen Nachmittag forderte der deutsche Außenminister Guido Westerwelle alle Deutschen auf, aus Libyen auszureisen. Und so ging es immer fort. Die Ausländer gehen, aber was wird aus den Einheimischen?

Mit seiner Fernsehansprache hat Saif al Islam al Gaddafi eine Maske fallen gelassen. Jahrelang galt dieser Sohn des exzentrischen libyschen Revolutionsführers als weltläufiger Reformer und Verfechter der Anliegen der Jugend. Er war der Weltoffenste und politisch Modernste unter dessen sieben Kindern. In seiner Funktion als Chef der „Gaddafi-Stiftung für internationale Wohlfahrt und Entwicklung“ agierte er jahrelang nach außen und nach innen als liberales Aushängeschild des Regimes.

Niemand durfte die inneren Missstände in Libyen so offen anprangern wie der stets sportlich und modisch gekleidete Saif. So forderte er in den vergangenen Jahren die gleichen Reformen, die viele Demonstranten an ihrem ersten „Tag des Zorns“ formulierten.

Eine Verfassung für Libyen, das bis heute von Muammar al Gaddafi geführt wird, ohne dass der irgendein Amt innehätte oder eine Funktion. Einfach so. Weil er der Revolutionsführer ist. Vielmehr war. Denn die Revolution wird heute von anderen geführt. Menschen, die Träume haben, wie Gaddafi damals, in der Nacht auf den 1. September 1969, als er sich mit seinem Bund der „Freien Offiziere“ – fast ohne Blutvergießen – gegen den ungeliebten König Idris an die Macht putschte und über das Radio die Libysche Arabische Republik ausrief. Offiziell heißt das Land Jamahiriya Libyen, was übersetzt „Staat der Massen“ heißt.

Doch früh wurde Libyen ein Land, das Terror verbreitete. Bereits 1980 hatte es neun Regierungskritiker in Europa ermorden lassen. In den Folgejahren sollte Gaddafi den Terror ins Ausland exportieren, Stichworte: Lockerbie und La Belle, und dort auch stärken, indem er Organisationen wie PLO, IRA sowie separatistische Organisationen in Thailand und auf den Philippinen unterstützte.

Libyen wurde zum Schurkenstaat erklärt, mit Sanktionen belegt und dann auch wieder davon erlöst und wer hofft, der Wandel im Äußeren würde auch einen Wandel im Innern möglich machen, irrte. Lange Zeit hatte Saif al Islam dieser Hoffnung sein Gesicht gegeben. Der Sohn, dessen Fernsehansprache nun nicht den Effekt hatte, den die Gaddafis wünschten.

Nach mehr als vier Jahrzehnten unter Gaddafis Herrschaft, ist Libyen weniger das Land seiner Bürger, als vielmehr ein Land im Familieneigentum. Die vielen Söhne Gaddafis haben sich in zentralen Stellen festgesetzt. Der Sohn aus erster Ehe soll Eigentümer sämtlicher libyscher Mobiltelefonunternehmen sein. Saadi, der dritte Sohn, Jahrgang 1973, ist im Rang eines Oberst. Er befehligte in den 90er Jahren Elitebrigaden beim Kampf gegen Islamisten. Laut dem politischen Magazin „Orient“ hat Saadi „dank seiner Position im Militärapparat eine Machtbasis innerhalb der Sicherheitskräfte“. Auch der nächste Sohn Mutasim ist im Militär ein großer Name. Ebenso wie Hannibal, Jahrgang 1977, Absolvent der libyschen Militärakademie, der seit 2007 beim Militär dienen soll.

Und natürlich Saif al Islam, geboren am 25. Juni 1972 in Tripolis, aktiv im Wirtschafts- und Medienbereich. Er studierte Architektur an der Universität von Al Fatih und anschließend Wirtschaftswissenschaften an der privaten Handels- und Wirtschaftuniversität Imadec in Wien. In dieser Zeit freundete er sich mit dem 2008 tödlich verunglückten Rechtspopulisten Jörg Haider an. Später promovierte er an der „London School of Economics“ über die Rolle von Nichtregierungsorganisationen und die Kriterien für gute Regierungsarbeit. In den vergangenen Jahren residierte der Hobbymaler in einem großen Anwesen am Stadtrand von Tripolis.

Seine Ausstellung „Die Wüste schweigt nicht“ mit rund 30 Ölbildern war 2002 in Paris und Berlin zu sehen, später auch in Madrid. Nach Enthüllungen bei Wikileaks lenkt auch er – wie alle seine Geschwister – einen Teil der Erlöse der „National Oil Company“ in die eigene Tasche. Ende 2010 kam es zum offenen Zerwürfnis zwischen Saif al Islam und der alten Garde um seinen Vater.

Doch seit dem Volksaufstand hat die Familie offenbar ihre Reihen wieder dicht geschlossen – kein Wunder angesichts des drohenden gemeinsamen Untergangs.

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