
© IMAGO/Moiz Salhi
Geld für Gaza aus Deutschland: Wie werden Nothilfe und Wiederaufbau kontrolliert?
Nach dem Gaza-Deal kündigt die Bundesregierung Hilfe für Gaza an. Bedenken, dass diese von der Hamas missbraucht werden könnte, gibt es nach wie vor.
Stand:
Der Unterschied zwischen „gut gemeint“ und „gut gemacht“ wurde nach dem 7. Oktober 2023 bitter beklagt. „Der palästinensische Terror, den wir sehen“, teilte damals der Zentralrat der Juden mit, „wurde auch mit deutschen Steuermitteln finanziert.“
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) fror nach dem Blutvergießen durch die Hamas die Hilfsgelder erst einmal ein und ließ das eigene Engagement vor Ort kritisch durchleuchten. „Im Rahmen der Überprüfung wurde kein Fall von Zweckentfremdung festgestellt“, hieß es damals jedoch im Anschluss: „Die strengen Kontrollmechanismen des BMZ haben sich als robust erwiesen.“
Trotzdem blieb die Entwicklungszusammenarbeit während des Gazakrieges schwierig und weitgehend auf das Westjordanland beschränkt. Zahlungen an das umstrittene UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA wurden wieder aufgenommen.
Humanitäre Nothilfe wurde weiter geleistet – auch wenn bekanntlich viel zu wenige Lieferungen Gaza erreichten. Seit dem 7. Oktober 2023 wurden dem Auswärtigen Amt zufolge Hilfsgüter im Wert von 374 Millionen Euro in den palästinensischen Gebieten bereitgestellt. Für das laufende Jahr sind 63 Millionen Euro an humanitärer Hilfe zugesagt, „davon circa 90 Prozent für Gaza“, wie es aus dem Außenministerium heißt.
Politisch ist doppelt Vorsicht geboten
Mit der Unterzeichnung des Abkommens von Scharm El-Scheich am Montag gibt es wieder Hoffnung auf eine stabile Waffenruhe mit einer deutlich besseren humanitären Notversorgung und einer insgesamt friedlicheren Zukunft samt Wiederaufbau.
Nun stellt sich aber mit noch größerer Dringlichkeit die Frage, was getan wird, um zu verhindern, dass die Hilfe in die falschen Hände gerät und am Ende unter international geförderten Schulen oder Krankenhäusern wieder Terrortunnel entstehen. Politisch ist doppelt Vorsicht geboten: Weil die AfD jede Form der internationalen Hilfe mit deutschem Steuergeld öffentlich verunglimpft.
US-Präsident Donald Trumps 20-Punkte-Plan kann dem CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter zufolge jedoch „nur Erfolg haben, wenn die Hamas als politische und bewaffnete Kraft keine Rolle mehr“ spiele, was aktuell aber „noch nicht absehbar“ sei.
Jede Form von Unterstützung – auch humanitär oder finanziell – muss an die Umsetzung des erzielten Abkommens durch beide Konfliktparteien gebunden sein.
Adis Ahmetovic, außenpolitischer Sprecher der SPD
„Insofern sollte jetzt kein deutsches Geld in den Gazastreifen fließen, denn wenn dort die Terrorschergen der Hamas weiter die Macht haben, gibt es keinerlei Garantie, dass die Gelder nicht wieder für den Aufbau von Terrorstrukturen genutzt werden, was im schlimmsten Fall in einen zweiten 7. Oktober münden kann“, sagt Kiesewetter. Selbst die Palästinensische Autonomiebehörde im Westjordanland habe Hilfe „für sogenannte Märtyrerrenten zweckentfremdet“.
Der Koalitionspartner SPD stellt ebenfalls Bedingungen. „Jede Form von Unterstützung – auch humanitär oder finanziell – muss an die Umsetzung des erzielten Abkommens durch beide Konfliktparteien gebunden sein“, erklärt Adis Ahmetovic, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, dem Tagesspiegel.
„Wir befinden uns derzeit in Phase eins“, sagt Ahmetovic. „Jetzt ist entscheidend, diese Phase erfolgreich abzuschließen und zügig in die nächste überzugehen, um nachhaltige Sicherheit und die von Menschengewalt verursachte humanitäre Katastrophe endlich zu beenden.“
Die größte Not zu lindern, scheint aktuell mehr ein organisatorisches als ein sicherheitspolitisches Problem zu sein, wenn es nach dem Auswärtigen Amt geht. „Die humanitären Hilfsorganisationen, allen voran die UN, stehen bereit, um Hunderttausende Tonnen Nothilfe, die teilweise bereits von israelischer Seite geprüft und freigegeben ist, in den Gazastreifen einzuführen“, heißt es dort.
Wichtig sei jetzt die schnelle Abwicklung an den Kontrollpunkten durch von den Kriegsparteien unabhängige Organisationen, ihr Zugang sei aber „noch nicht uneingeschränkt“.
Hinter diesem Teil des 20-Punkte-Plans steht die zentrale Frage: Wie stellt man sicher, dass Hilfe bei den bedürftigen Menschen ankommt und nicht bei der Hamas landet? Ausreichend Hilfsgüter sind auch wichtig dafür, dass „der Schwarzmarkt trockengelegt“ wird, worauf der Nahost-Experte Andreas Böhm von der Universität St. Gallen hinweist.
Das Argument der israelischen Regierung, man unterdrücke die Hilfslieferungen nicht, vielmehr sei es die Hamas, die sich ihrer bemächtige, war nichts als Propaganda.
Ralf Südhoff, Direktor des Centre for Humanitarian Action (CHA)
„Entscheidend dafür ist, wieder auf erfahrene und bewährte Hilfsorganisationen, statt auf politisch gesteuerte Institutionen zu setzen“, sagt Ralf Südhoff, Direktor des Centre for Humanitarian Action (CHA), des ersten deutschen Thinktanks zur humanitären Hilfe.
„Auch zahlreiche israelische Militärs und Offizielle haben bezeugt, dass die Vereinten Nationen und Nichtregierungsorganisationen eine weitgehend sehr effektive Hilfe geleistet haben – bis sie blockiert wurden, weil eine solche Hilfe offenkundig nicht erwünscht war“, sagt Südhoff.
Böhm kommt zu einer ähnlichen Einschätzung. „Das Argument der israelischen Regierung, man unterdrücke die Hilfslieferungen nicht, vielmehr sei es die Hamas, die sich ihrer bemächtige, war nichts als Propaganda“, sagt der Lehrbeauftragte für International Affairs in St. Gallen. Sicherlich hätten die Islamisten einiges für sich abgezweigt, allerdings wohl nicht im großen Stil.
Israel hatte eine umstrittene US-Stiftung mit der Verteilung von Lebensmitteln beauftragt, die Gaza Humanitarian Foundation. An den vier Ausgabestellen kam es immer wieder zu tödlichen Zwischenfällen. Berichten zufolge starben mehrere Hundert Menschen, vermutlich durch Schüsse der israelischen Armee.
Böhm zufolge kommt es jetzt vor allem darauf an, „ein Mindestmaß an Sicherheit und Ordnung herzustellen“. Doch es stelle sich die Frage: „Wer soll beides gewährleisten?“
Erst recht stellt sich diese Frage, wenn nicht mehr „nur“ Millionen für die humanitäre Notversorgung, sondern Milliarden für den Neuaufbau fließen sollen, weil beispielsweise aus Rohren für die Wasserversorgung auch Raketen gebaut werden können.
„Ohne Dual-Use-Güter kann der Wiederaufbau Gazas nicht gelingen – spätestens, wenn dieser beginnen soll, muss es nationale oder internationale Strukturen vor Ort geben, die die ordnungsgemäße Verwendung garantieren“, heißt es aus dem Auswärtigen Amt: „Unsere Anstrengungen sind ganz darauf gerichtet, dass dieser Teil des 20-Punkte-Plans umgesetzt wird.“ Gemeint ist unter anderem eine internationale Schutztruppe.
Wiederaufbauhilfe aus Deutschland – oder dem arabischen Raum?
Entwicklungsministerin Reem Alabali-Radovan hat bereits Wiederaufbauhilfe von mindestens 200 Millionen Euro angekündigt – aus bereits genehmigten, aber wegen des Krieges nicht verwendeten Geldern. „Wir haben sorgfältige Prüfmechanismen, die jetzt nochmal nachgeschärft werden und die dafür sorgen, dass kein Geld an die Hamas geht. Ich achte sehr genau darauf, wohin das Geld fließt“, sagte die SPD-Politikerin „Table Media“.
Ein Sprecher ihres Hauses sagte dem Tagesspiegel, dass die Kontrollen „eine engmaschige und mehrstufige Überprüfung von lokalen Partnern, von Materialtransporten und Finanzflüssen“ beinhalteten.
Schon bei früheren Wasserprojekten seien „Transport, Lagerung und Einbau jedes einzelnen Bauteils“ unabhängig von den Vereinten Nationen oder internationalen Consultingfirmen überwacht worden: „Auch die israelischen Behörden haben nie auf eine vermutete Zweckentfremdung von Material im Rahmen dieser vom BMZ geförderten Projekte hingewiesen.“
Insbesondere Saudi-Arabien, Ägypten oder die Golfstaaten sind hier in der Pflicht.
Roderich Kiesewetter (CDU) über den Wiederaufbau Gazas
Aber wird die Weltgemeinschaft – allen voran der arabische Raum – überhaupt auf Dauer Geld für Gaza geben? „Viel wird auf die diplomatischen Fähigkeiten der Golfstaaten ankommen“, sagt Nahost-Experte Andreas Böhm.
Der CDU-Politiker Kiesewetter plädiert ohnehin dafür, dass Akteure aus der Region den Großteil des Wiederaufbaus stemmen sollten, wenn nicht sogar den kompletten: „Insbesondere Saudi-Arabien, Ägypten oder die Golfstaaten sind hier in der Pflicht.“ Er sieht die „besondere Stärke von Trumps Plan“ gerade darin, dass erstmals alle wichtigen Akteure in der Region eingebunden und mit seinem Plan auch einverstanden sind.
Die arabischen Herrscher könnten ihre finanziellen Zuwendungen an den Rückzug der Hamas knüpfen. „Andererseits werden sie versuchen, die USA, sprich Donald Trump, zu Schritten Richtung einer palästinensischen Staatlichkeit zu bewegen. Nur: Dass das gelingt, ist keineswegs garantiert“, so Nahost-Experte Böhm.
Politische Unterstützung dafür gäbe es auch in der Berliner Regierungskoalition. Es gelte, so SPD-Politiker Ahmetovic, „entschlossen auf die Umsetzung der Zwei-Staaten-Lösung zu drängen, die Palästinensische Autonomiebehörde zu stabilisieren und in naher Zukunft den Staat Palästina anzuerkennen“.
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