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Politik: Gemeinsam statt einsam

Von Gerd Appenzeller

Kann man die Welt in anderthalb Stunden verändern? Viel länger hatte Angela Merkel nicht für ihre Gespräche mit George W. Bush in Washington. Glaubt man den Kommentaren beider hinterher, war es genügend Zeit, um sich in Kernfragen so weit zwischen Europa und den USA abzustimmen, dass die deutsche EU-Präsidentschaft und der G-8-Vorsitz nicht durch transatlantische Störungen überlagert werden.

Themen, bei denen eine Abstimmung dringend vonnöten war, gibt es genug: der ungelöste Nahostkonflikt, die verfahrene Lage im Irak, Afghanistan, die Zukunft des Kosovo, der politische Umgang mit dem Iran, die Umweltpolitik, die Haltung der EU gegenüber der Türkei, die Perspektiven der Zusammenarbeit mit Russland, China und Indien. Und auch nach dieser Aufzählung kann man sicher sein, Wichtiges nicht erwähnt zu haben.

Angela Merkel und ihr Außenminister Frank-Walter Steinmeier wissen genau, dass sie eigentlich viel zu wenig Zeit haben, Lösungsansätze für die drängendsten Punkte der weltpolitischen Tagesordnung zu finden. Das war einer der Gründe für den Blitzbesuch. Denn würde sich der Westen beim diplomatischen Herangehen an auch nur einem der Konflikte zerstreiten, würde das unweigerlich auf die deutsche EU-Ratspräsidentschaft zurückfallen.

Beispiel Kosovo: Der UN-Vermittler Martti Ahtisaari will unmittelbar nach den Wahlen in Serbien am 21. Januar einen Vorschlag machen. Der wird wohl auf eine von der Nato und der EU überwachte Unabhängigkeit des Kosovo hinauslaufen. Dagegen ist Russland, Serbiens enger Verbündeter, ständiges Mitglied des Sicherheitsrates. Moskau könnte für die Unruheregionen Ossetien, Abchasien und Inguschetien ebenfalls staatliche Souveränität fordern und damit den ungeliebten Nachbarn Georgien destabilisieren. Beispiel Nahost: Gelingt es dem wieder aktivierten Nahostquartett nicht, Russland zur Mitarbeit an einem Friedenskonzept zu gewinnen, wird der Versuch scheitern. Beispiel Iran: Die deutschen Hermesbürgschaften für Industrielieferungen an Teheran sind den Amerikanern ein Dorn im Auge – aber dass China, die kaum berechenbare Großmacht, den deutschen Platz einnimmt, kann auch keiner wollen. Beispiel Irak: Die vom früheren US-Außenminister James Baker geleitete Kommission schlägt deutsche Hilfe bei der Suche nach einem diplomatischen Ausweg vor.

Warum sind die USA auf einmal wieder zur Abstimmung mit ihren Partnern bereit, warum redet Bush ausgerechnet mit Frau Merkel? Weil sie die einzige stabile Kraft in Europa repräsentiert und weil er innenpolitisch doppelt geschwächt ist durch die Niederlage seiner Republikaner bei den Kongresswahlen und wegen der gescheiterten Intervention im Irak. Anderthalb Jahrzehnte hat die letzte verbleibende Supermacht versucht, die internationalen Ereignisse zu dominieren oder gar ihren Gang zu bestimmen. Sie ist damit gescheitert und mit ihr auch Bushs alter Partner Tony Blair, ein politisches Auslaufmodell wie Jacques Chirac und Romano Prodi.

Die Ära Schröder war gegenüber den USA von dem Bestreben gekennzeichnet, einen eigenen, auch eigensinnigen deutschen Weg in der Außenpolitik durchzusetzen. Seine Nachfolgerin profitiert von dem so sichtbar gewordenen Spielraum. Sie nutzt ihn aber nicht konfrontativ, sondern im Bemühen um Konsens. George Bush Senior hatte dafür den Begriff „partners in leadership“. Vielleicht hat sich ja der Sohn daran erinnert.

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